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27.07.2022

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Erzählungen aus dem Kosovo

Zu Besuch auf der Manifesta 14 in Prishtina


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Am Wochenende wurde in Prishtina die Manifesta eröffnet. Die 14. Ausgabe der europäischen Wanderbiennale hat sich mit dem Kosovo in den jüngsten und drittärmsten Staat des Kontinents gewagt. Bis Ende Oktober bespielt sie in der Hauptstadt 25 Orte mit Kunst. Das gelingt ihr ausgesprochen gut. Auch städtebauliche Fragen spielen wieder eine Rolle. Verantwortlich dafür zeichnen dieses Mal CRA-Carlo Ratti Associati.

Von Stephan Becker und Gregor Harbusch


Die aktuelle Manifesta ist weitaus politischer als ihre letzten Ausgaben – etwa 2020 in Marseille oder 2018 in Palermo – zu verstehen. Immerhin hat sich die in Amsterdam ansässige und von Hedwig Fijen geleitete Non-Profit-Organisation für einen Ort entschieden, der auf der politischen Landkarte bis heute umstritten ist. 1998/99 fand hier der Kosovokrieg statt. 2008 sagte sich das von einer albanischen Mehrheit bewohnte Land schließlich von Serbien los. Doch bis heute wird es allein von fünf EU-Staaten nicht als souveräner Staat anerkannt.

Zwei Folgen dieser prekären Situation werden bei einem Besuch Prishtinas und im Gespräch mit den Menschen dort schnell deutlich. Erstens sind die Reisemöglichkeiten der Bürger*innen stark eingeschränkt, da das Land keine Visafreiheit genießt. Zweitens hat man es mit einer großen Diaspora zu tun – eine Folge des Krieges und der seit Langem schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes. Beide Themen spiegeln sich in der Manifesta wider.

Vor diesem Hintergrund war es eine bemerkenswerte Entscheidung der Stadt, sich für die Ausrichtung der Manifesta zu bewerben. Knapp fünf Millionen Euro kostet die aktuelle Ausgabe. Stadt und Land tragen über die Hälfte der Kosten. Über drei Millionen Euro werden wiederum im Kosvo investiert. Dementsprechend hofft man auf wirtschaftliche, kulturelle und natürlich auch touristische Impulse – sowohl bei den politischen Entscheidungsträger*innen als auch der lokalen Bevölkerung. Vor allem junge Menschen erwarten viel vom internationalen Kulturgroßereignis in der 150.000 Einwohner*innen-Stadt, deren Bevölkerung ein beeindruckend niedriges Durchschnittsalter von nur 25 Jahren hat.

Wie man Geschichten anders erzählt


Blickt man auf die Kunst und die 25 bespielten Orte, kann die Rechnung auf jeden Fall aufgehen. Kuratorin Catherine Nichols – offizieller Titel: „creative mediator“ – setzt auf Narrative und betont, wie wichtig ihr es war, im Kontext der Ausstellungskonzeption den Menschen vor Ort zuzuhören. So kompliziert der Titel der Ausstellung „it matters what worlds world worlds: how to tell stories otherwise“ auch klingt, so sehr geht Nichols’ Ansatz auf, durch „andere Erzählungen“ den alten Erinnerungen einer vom Krieg traumatisierten Gesellschaft etwas entgegenzusetzen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass 65 % der Künstler*innen aus der Region kommen beziehungsweise hier ihre Wurzeln haben. Was wiederum bedeutet, dass sich internationales künstlerisches Niveau und biografische Rückbindung zuweilen auf das Beste ergänzen.

Die Hauptausstellung findet auf acht Etagen im Grand Hotel statt, das zugleich auch als zentraler Anlaufpunkt der Manifesta fungiert. Zu jugoslawischen Zeiten galt es als das beste Haus am Platz. Davon ist wenig übriggeblieben, auch wenn einige Etagen weiterhin als Herberge genutzt werden und eine zeitgemäße Sky Bar zum Blick über die Stadt einlädt. Ein Trakt des Ensembles wurde im Zuge missglückter Sanierungsbemühungen bis auf den Rohbau rückgebaut. Über weite Teile verströmen die originalen, dunkel gehaltenen Teppiche und Möbel jedoch weiterhin den Seventies-Charme des alten Jugoslawiens.

Souverän bespielt Nichols die Etagen des Hauses und setzt dabei auf eingängige Themen wie Kapital, Ökologie, Liebe, Wasser oder Migration. Neben den jungen Künstler*innen mit regionalen Wurzeln sowie internationalen Positionen findet man immer wieder auch historische kosovarische Werke und einzelne zivilgesellschaftliche Initiativen, die hier präsentiert werden. Das schafft Vielschichtigkeit und eröffnet lokalen Besucher*innen, die mit zeitgenössischer Kunst vielleicht wenig anfangen könne, niedrigschwellige Anknüpfungspunkte.

25 Orte in der Stadt


Zwei weitere wichtige Orte sind das Center for Narrative Practice und die Brick Factory. Ersteres wurde in einer seit 2016 geschlossenen Bibliothek eingerichtet und soll für mindestens fünf Jahre als zivilgesellschaftlicher Ort des kulturellen Austausches dienen. Während der Manifesta fungiert der ruhige und begrünte Ort in einem innerstädtischen Hinterhof als Raum für das Vermittlungsprogramm.

In der Brick Factory am Rand des Stadtzentrums trifft man auf alte Bekannte: raumlaborberlin bespielen die ruinöse Fabrik im Rahmen einer Summer School auf routiniert charmante Art. Momentan richten sie einen kleinen provisorischen Pool ein, den sich viele Menschen der Umgebung dringend gewünscht haben. Auch hier ist die längerfristige Perspektive entscheidend. Für den 46 Jahre alten Bürgermeister Përparim Rama – der mit 16 nach London kam und dort Architektur studierte – ist die Brick Factory ein entscheidender Ort, an dem etwas Neues entstehen soll. Was genau ist noch offen und soll sich während der Laufzeit der Ausstellung herauskristallisieren.

Sehenswert sind aber eigentlich alle Orte dieser Manifesta, darunter der monumental aufragende und brutalistische Jugend- und Sportpalast Bororamiz, die hochinteressante neo-regionalistische Nationalbibliothek (die christliche und muslimische Sakralbautypologien synthestisiert), das Ethnologische Museum aus osmanischer Zeit, die ehemalige Druckereihalle der Zeitung Rilindja oder ein kleiner unscheinbarer Schlüsseldienst.

Grauer gelber grüner Korridor


Die Krux einer solchen Ausstellung, die erklärtermaßen mehr sein möchte als eine temporäre Kunstschau, ist die Frage, welcher langfristige Nutzen sich für die lokale Bevölkerung ergibt. Macher*innen und Politik sprechen viel von den „Möglichkeiten“, die die Manifesta eröffne. Der Begriff spiegelt nicht nur eine programmatische Prozesshaftigkeit und die angestrebte Einbindung lokaler Akteure wider, sondern auch die wirtschaftliche und planerische Realität. Letzteres sieht man beispielsweise auch dem Beitrag von CRA-Carlo Ratti Associati an, die als ein Ergebnis ihrer Analysen unter anderem den temporären Bau einer vor Jahrzehnten geplanten Fußgängerbrücke an zentraler Stelle in der Stadt vorschlugen. Instagram-Icon und gesellschaftspolitische Symbolik wären hier kongenial zusammengekommen. Auch aus Kostengründen wurde das Projekt jedoch nicht verwirklicht.

Als wichtigster Beitrag von CRA ist neben einer Publikation mit städtebaulichen Analysen nun der sogenannte Green Corridor zu nennen – eine aufgelassene Eisenbahnstrecke, die zur Brick Factory führt und die mit wenigen, knallgelben Eingriffen zur Aneignung einlädt. Ob und was dort passiert und wie dieser Raum längerfristig entwickelt werden könnte, wolle man nicht top-down entscheiden, sondern den Menschen vor Ort überlassen, betont Ratti. Es scheint vor allem eine Einladung an die Jugend von Prishtina, aus diesem robusten und staubig-grauen Ort etwas zu machen.

BauNetz ist Medienpartner der Manifesta 14.


Zum Thema:

Die Manifesta 14 läuft bis 30. Oktober 2022. Detaillierte Informationen – auch zu Anreise und Unterkünften – findet man auf manifesta14.org.


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

1

maestrow | 27.07.2022 18:25 Uhr

Kosovo und Küchenstudio

Vielen Dank für den schönen Bericht und Fotos aus Prishtina! Ein Grund wieder einmal hinzufahren!
Verglichen damit wirken die am selben Tag veröffentlichten Wohnbauten in Mainz wie intellektuell festbetoniert. Ganz zu schweigen von dem nahezu frivolen Schweitzer Küchenstudio. Hier echtes Leben in der Kunst, dort Erstarrung in Langeweile und groteskem Luxus.

 
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Hauptspielort der diesjährigen Manifesta: Das alte Grand Hotel der Architekten Bashkim Fehmiu, Dragan Kovacevic und Misa Jevremovic von 1978.

Hauptspielort der diesjährigen Manifesta: Das alte Grand Hotel der Architekten Bashkim Fehmiu, Dragan Kovacevic und Misa Jevremovic von 1978.

Das Gebäude dominiert auch die Hauptflaniermeile der Stadt. Den alten Hotel-Schriftzug auf dem Dach hat der Künstler Petrit Halilaj in einen poetischen Aufruf verwandelt. „When the sun goes away, we paint the sky“ steht dort nun zu lesen, während die Sterne über das ganze Haus tanzen.

Das Gebäude dominiert auch die Hauptflaniermeile der Stadt. Den alten Hotel-Schriftzug auf dem Dach hat der Künstler Petrit Halilaj in einen poetischen Aufruf verwandelt. „When the sun goes away, we paint the sky“ steht dort nun zu lesen, während die Sterne über das ganze Haus tanzen.

Ihren weithin sichtbaren Höhepunkt erreicht die Installation nachts, wenn Sterne und Schrift mal ruhig, mal erruptiv pulsieren.

Ihren weithin sichtbaren Höhepunkt erreicht die Installation nachts, wenn Sterne und Schrift mal ruhig, mal erruptiv pulsieren.

Im Grand Hotel, das parallel zur Manifesta auch immer noch zur Übernachtung genutzt werden kann, geht es aus der Lobby zunächst in den Keller. Dort hat sich die spekulative Reiseagentur Off Season eingerichtet, deren Name künstlerisches Programm ist.

Im Grand Hotel, das parallel zur Manifesta auch immer noch zur Übernachtung genutzt werden kann, geht es aus der Lobby zunächst in den Keller. Dort hat sich die spekulative Reiseagentur Off Season eingerichtet, deren Name künstlerisches Programm ist.

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