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12.10.2022
Zu viel Geld für gute Nachbarschaften
Zu Besuch auf der Architekturtriennale in Oslo
Die aktuelle Architekturtriennale in Oslo thematisiert Defizite der Stadtplanung in einem der reichsten Länder der Welt. Sie wendet sich an die lokale Bevölkerung und kämpft für soziale Nachhaltigkeit im renditegetriebenen Wohnungsbau Norwegens. Dabei verbleibt die Ausstellung nicht im Theoretischen, sondern stellt Fragen des alltäglichen Zusammenlebens, die uns alle angehen.
Von Gregor Harbusch
Noch Anfang des 20. Jahrhunderts zählte Norwegen zu den ärmsten Ländern Europas. Erst durch die Erdölfunde vor der Küste wurde das Land nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der reichsten Staaten weltweit. Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbau zur post-fossilen Gesellschaft beschäftigt Norwegen seit Jahren, ambitionierte Bauprojekte gehören selbstverständlich dazu. In Oslo markieren repräsentative und teure Kulturbauten wie die Oper von Snøhetta, die Deichman Bibliothek von Lundhagem und Atelier Oslo, das neue Munch Museum von Estudio Herreros oder das neuen Nationalmuseum von Kleihues + Schuwerk diesen Anspruch.
Doch so stark die Planer*innen in Fragen technisch-ökologischer Nachhaltigkeit oft seien, so sehr mangle es an sozialer Nachhaltigkeit und qualitativen Nachbarschaften, betont der dänische Kurator der Triennale Christian Pagh. Hier setzen er und sein Team mit der aktuellen Ausgabe der Triennale an. Unter dem Titel „Mission Neighbourhood – (Re)forming Communities” versucht die Ausstellung den Spagat, sowohl den internationalen Fachdiskurs zu adressieren als auch die lokale Bevölkerung anzusprechen.
An drei Orten ist die Triennale präsent. Neben kleineren Ausstellungen im Kunstraum ROM und dem Architekturableger des Nationalmuseums darf das ehemalige Munch-Museum als mit Abstand wichtigster Ort gelten. Seit der Eröffnung des neuen Hauses am Fjord steht der charmante, spätmodernistische Bau leer. Wo einst die weltberühmten Gemälde Edvard Munchs die Touristenmassen begeisterten, herrscht nun eine lässig hemdsärmelige Festivalatmosphäre.
Oslo Neighbourhood Lab
Die Triennale bezeichnet ihre Hauptspielstätte als „Oslo Neighbourhood Lab“ und zeigt hier neben Workshops und Veranstaltungen, die sich in erster Linie an die lokale Bevölkerung richten, drei Ausstellungen. Geradezu paradigmatisch bilden diese die ganze Bandbreite architektonischer Praxis von der gezeichneten Utopie über die kritische Auseinandersetzung mit dem Ist-Zustand bis zum hochpreisigen Development ab. Archigram-Mitbegründer Peter Cook darf hier in einer kleinen Einzelschau seine „Ideas for Cities“ zeigen – beeindruckende, manisch detaillierte und wild kolorierte Zeichnungen aus über einem halben Jahrhundert, die verdeutlichen, wie Cook seit der Plug-In-City an Fragen der Gemeinschaftsbildung im Raum gearbeitet hat.
Als programmatischer Gegenpol lesbar ist die Ausstellung „Oslo in the making“ in der großen Haupthalle, wo sich in erster Linie ein engagierter kommerzieller Projektentwickler präsentiert – bunt gemischt mit kleineren künstlerischen Arbeiten. HAV Eiendom (eine Tochter der Osloer Hafengesellschaft) zeigt hier den brandaktuellen Planungsstand im Konkurrenzverfahren für das aktuell größte Stadtentwicklungsvorhaben am Osloer Fjord. Das Projekt Grønlikaia steht beispielhaft für den norwegischen Immobilienmarkt, der fast ausschließlich auf Eigentumswohnungen setzt und keinen sozialen Wohnungsbau kennt. Die herausragende Lage am Fjord wird sich selbstverständlich in den Wohnungspreisen niederschlagen.
Öffentlicher Raum als sozialer Raum
Die Krux sind die Räume zwischen den Häusern, die Programmierung der Erdgeschosse, die Frage nach sozialen und kulturellen Angeboten und öffentlicher Zugänglichkeit. Grønlikaia dürfte in dieser Hinsicht auf einem guten Weg sein. Man muss jedoch nur auf die andere Seite des Fjords spazieren und sich das luxuriöse kleine Areal Tjuvholmen ansehen, das geradezu in überambitionierter Gestaltung und kommerziellen Erdgeschossangeboten zu ersticken scheint. In den Vorstädten Oslos entsteht wiederum zu viel schlechter und trotzdem überteuerter Wohnungsbau – „Slums der Zukunft“, wie es eine lokale Architektin, die auf der Triennale ausstellt, in einem Gespräch auf den Punkt brachte.
Vor diesem spezifisch norwegischen Hintergrund sind die Bemühungen der Triennale zu sehen, die Frage nach „besseren Nachbarschaften“ anhand von Analysen, Studien und konkreten Projekten zu thematisieren. Physischer Raum und politische Prozesse sind für Kurator Pagh gleichermaßen bedeutsam. Dementsprechend wichtig ist für ihn auch der 18 Monate lange Prozess vor der eigentlichen Eröffnung, durch den die Triennale in die Stadt hineinwirkte und mit der lokalen Bevölkerung arbeitete.
Von diesen Prozessen ist in der Hauptausstellung eher wenig zu sehen. Stattdessen streift man durch eine thematisch sauber strukturierte und angenehm dimensionierte Schau, in der mittels sechs Themenfeldern – von „Understanding Places“ über „Naturehood“ bis „Reforming Systems“ – der Themenkomplex Nachbarschaft nachvollziehbar reflektiert wird. Erklärtermaßen liegt der Fokus auf den nordischen Ländern, mit einem klaren Schwerpunkt auf dänischen Projekten, was sicherlich nicht an der Herkunft Paghs liegt, sondern einmal mehr beweist, dass dänische Planer*innen viele beispielgebende Projekte realisieren und wegweisende Ideen verfolgen.
Trotz des klar gesetzten Themas mangelt es ein wenig an einer präzisen Definition, was die viel zitierten „bessern Nachbarschaften“ letztlich eigentlich ausmacht. Eine programmatische Checkliste, was zu tun wäre, findet man jedenfalls nicht. Wie groß die Bandbreite dessen ist, was unter dem Obertitel Nachbarschaft subsumiert werden kann, spitzt sich in einer Ecke der Ausstellung zu, wo ein neuer Traditionalismus, wie man ihn etwa beim Berliner Büro Patzschke & Patzschke findet, als populär akzeptierte Architektursprache propagiert wird – und direkt daneben das Modell eines Pissoirs für Frauen der Künstlerin Marthe Elise Stramrud steht.
Unbedingt sehenswert ist auch die Ausstellung im Nasjonalmuseet Arkitektur, die unter dem Titel „Coming into Community“ eine kleine aber feine Auswahl historischer Projekte versammelt, in denen sich unterschiedliche Formen von Gemeinschaftsbildung architektonisch manifestieren. Neben kollektiven Wohnprojekten aus dem Norwegen der 1970er und -80er Jahre blickt die Schau insbesondere auf internationale Projekte in feministischen und homosexuellen Kontexten.
Zukunft Triennale
Um keine falschen Vorstellungen zu wecken: Die Architekturtriennale Oslo ist eine kleine Ausstellung, die für nur sechs Wochen läuft. Umgerechnet eine Million Euro Gesamtbudget standen für die Aktivitäten im ehemaligen Munch-Museum zur Verfügung. Verschwindend wenig im Vergleich etwa zur Manifesta 14 in Prishtina, die mit fünf Millionen Euro in einem der ärmsten Länder Europas arbeiten konnte. Hinter dem Projekt steckt viel Enthusiasmus. Pagh und sein Team kämpfen sichtlich engagiert mit überschaubaren Mitteln gegen die Realität einer Stadtplanung, die sich zwar viel vorgenommen hat, aber in weiten Strecken immer noch viel zu viel vom Geld dominiert wird.
Die 8. Oslo Architecture Triennale läuft bis 30. Oktober 2022, die Ausstellung im Nationalmuseum ist noch bis 29. Januar 2023 zu sehen. Weitere Informationen auf oslotriennale.no bzw. nasjonalmuseet.no
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