Ein Kommentar von Daniel Felgendreher
Status: „awaiting decision“. Das Planungsamt des Londoner Bezirks Lambeth informiert die Londoner und andere Interessierte online über den Bearbeitungsstand eines Bauantrags, der in der Stadt zur Zeit auf einige Kritik stößt. Vor knapp zwei Monaten reichten Zaha Hadid Architects (London) die 171 Dokumente, die komplett online einsehbar sind, für einen Gebäudekomplex am Bahnhof Vauxhall in Südlondon ein. Ihr Vorschlag: Ein 42 Stockwerke hoher Turm mit 257 Wohnungen sowie ein 53 Stockwerke hoher Turm mit einem 618-Betten-Hotel. Beide werden durch einen zehnstöckigen Sockel verbunden, in dem einige Funktionen des Hotels, 20.000 Quadratmeter Bürofläche sowie Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss untergebracht sind. Die Kritik des Projekts richtet sich vor allem gegen die Gebäudehöhe. Und dreht sich erstaunlich wenig um die Londoner Wohnungskrise.
Skyline Debatte
Dass sich die Skyline Londons in den nächsten Jahren drastisch verändern wird, ist bekannt. 436 Gebäude mit mehr als 20 Geschossen sollten in den kommenden Jahren in der Stadt verwirklicht werden, hieß es noch 2015. Ein Jahr später stieg die Zahl auf 455. Davon haben 256 Gebäude bereits eine Baugenehmigung. Die Zahlen liefert der jährlich erscheinende Hochhaus-Bericht, den Londons Diskussionsforum für Belange der Stadtentwicklung New London Architecture (NLA) in Zusammenarbeit mit seinem Sponsor GL Hearn, veröffentlicht. Während der investorennahe Immobilienberater GL Hearn im Bericht die Vorzüge des Hochhausbooms propagiert, sehen andere in London die Wolkenkratzer ziemlich kritisch.
Daher kommt die Kritik am ZHA-Projekt auch von einer Architektin, die schon in der Londoner Skyline-Debatte eine zentrale Rolle spielt: Barbara Weiss. Ihre Organisation Skyline Campaign kämpft gegen die „Dubaiisierung“ Londons – die Zerstörung der Stadt durch eine Vielzahl schlecht entworfener Türme, die weder in Materialität noch Maßstab zu den existierenden Terraces passen oder die geschützten Sichtachsen der Stadt stören. Und das mit Erfolg: Die Kampagne hat mit ihrer Lobbyarbeit maßgeblich dazu beigetragen, dass dem Investor Irvine Sellar für seinen von Renzo Piano enworfenen Paddington Pole keine Baugenehmigung erteilt wurde und er den Turm um 58 Stockwerke stutzen musste.
Sadiq Khans 50 Prozent
Während der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson noch vorbehaltlos für den Bau von Hochhäusern war, lässt sein Nachfolger Sadiq Khan einen Paradigmenwechsel erahnen. Khan knüpft vor allem eine Bedingung an den Bau von Türmen: Sie sollen die Wohnungskrise Londons lösen, statt „Goldbarren für ausländische Investoren“ zu sein. „Solange ich Bürgermeister bin, wird die Antwort zu Hochhäusern nicht immer ‚Ja‘ sein“, drohte er bei einem Vortrag an der London School of Economics im Juli 2017. Schon in seinem „Manifesto for all Londoners“ von 2016 machte der damals gerade neu ins Amt berufene Khan die Lösung der Londoner Wohnungskrise zur Priorität. Hierfür setzte er ein ambitioniertes Fernziel: 50 Prozent der Wohnneubauten sollen zukünftig bezahlbaren Wohnraum bieten. Vor diesem Hintergrund sollte auch im Fall des Projekts von ZHA – mehr noch als formalästhetische Kriterien, denen zudem eine latent antimoderne Haltung anhaftet – der Anteil an bezahlbarem Wohnraum Grundlage der Bewertung sein.
Lösung für die Wohnungkrise?
Am 22. Januar 2018 erschien eine weitere Datei zum Bauantrag online, welche die Debatte sicherlich erneut anheizen wird. Im „Viability Appraisal“ betitelten Dokument schlägt der Bauherr nun einen 19-prozentigen Anteil an „Intermediate Affordable Housing“ vor. Dieses Segment definiert im Bezirk Lambeth, zu dem Vauxhall gehört, Angebote für Mittelklasse-Haushalte, die sich die Marktpreise nicht leisten können. 19 Prozent, also 50 von 257 Wohneinheiten, das ist weniger als die Hälfte von Khans Zielwert, – und auch nur knapp die Hälfte des in Lambeth derzeit geltenden Wertes.
Wird hier also ein Angebot für die Londoner Bevölkerung gemacht? Einiges spricht eher für ein Spekulationsobjekt. Bauherrin ist die VCI Property Holding Limited mit Sitz auf den Kanalinseln, einer attraktiven Steueroase. Weiter beteiligt ist das in Dubai registierte Unternehmen Rassmal Investments, das mit der Al Shawaf Familie einer der wohlhabendsten Familien Saudi Arabiens gehört. Vor allem aber werden Zweifel durch die verantwortlichen Architekten genährt. Dass Büropartner Patrik Schuhmacher von staatlich reguliertem Wohnungsbau herzlich wenig hält, wurde spätestens mit seinem kontroversen Auftritt beim World Architecture Festival 2016 in Berlin deutlich.
Sollte der Bezirk das Projekt genehmigen, bleibt abzuwarten, ob Sadiq Khan interveniert. Als Bürgermeister hätte er zumindest die Befugnis, lokale Bezirksentscheidungen zugunsten der allgemeinen Bedürfnisse der Stadt zu übergehen.
Visualisierungen: Slashcube
Auf Karte zeigen:
Google Maps