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10.11.2021

Buchtipp: Holzbau für Fortgeschrittene

Wood Urbanism


Der Baustoff Holz gilt als Wunderwaffe im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Ungezählte Berichte preisen seine auf wenige Schlagwörter reduzierten, inzwischen allseits bekannten Vorzüge. Wären da nicht die explodierenden Preise für das natürliche Material, die erahnen lassen, dass es komplizierter ist. Was fehlt, ist ein multiperspektivischer Blick auf die Zusammenhänge.

Hier setzt die Publikation Wood Urbanism. From the Molecular to the Territoral an. Der Untertitel verweist auf den Ansatz: es geht um eine Trans-Skalierung, das heißt eine Analyse und konsequente Verschränkung verschiedener Skalenebenen. Die Herausgeber*innen Daniel Ibañez, Jane Hutton und Kiel Moe verstehen Holz beziehungsweise Wald als Teil eines zellularen, lokalen wie planetaren Beziehungsgeflechts aus Produktionsverhältnissen und Forstwirtschaftssystemen, Habitaten, Biodiversität, Abholzung, Land- und Eigentumsrechten, sozialhistorischer und politischer Prägungen sowie sich dynamisch entwickelnder Ökosysteme und Kohlenstoffkreisläufe. Mit diesem holistischen Blick leistet die Publikation einen wichtigen Beitrag, um zumindest einige Nebelschwaden der hochaktuellen, bisweilen jedoch unterkomplex geführten Diskussion um Holz als „Baustoff der Zukunft“ aufzulösen.

Das Buch fasst die jahrelange Arbeit der Herausgeber*innen und mehrerer Konferenzen, Design Studios und Workshops zusammen. Es gliedert sich in die sechs Kapitel Species, Carbon, Thermal, Ecology, Urbanism und Metabolism. „Species“ will über das Verständnis von Holz als Ware und Rohstoff hinausdenken und verbindet spezifische Holzarten mit ihren einzigartigen Eigenschaften und Landschaften. „Carbon“ befasst sich mit der häufig angesprochenen, aber kaum je vollständig durchdeklinierten Rolle der Kohlenstoffdynamik. „Um über das zynische Greenwashing-Marketing hinauszukommen, das heute ein Hauptbestandteil der Urbanisierung mit Holz ist, wäre es für Planende von Vorteil, sich gründlicher und eingehender mit der tatsächlichen Kohlenstoffdynamik des Holzbaus zu befassen“, so die Autor*innen.

„Thermal“ konzentriert sich auf das thermische Potenzial von Massivholzgebäuden, das zum Beispiel beim Low Tech-Bauen relevant ist. „Ecology" untersucht Landschaften der Holzproduktion als „Orte sozialer und biophysikalischer Komplexität“, in denen oft widersprüchliche Prioritäten von Ausbeutung, Nutzung und Erhaltung der Wälder aufeinandertreffen. „Urbanism“ erweitert die Perspektive der stadtzentrierten Debatten auf einen umfassenden Prozess, der von der landwirtschaftlichen Produktion in Baumplantagen bis hin zur materiellen Akkumulation im konkreten Gebäude reicht. „Metabolism“ schließlich widmet sich den kleinen wie großen materiellen, sozialen und ökologischen Abhängigkeiten, auf denen Gebäude, Stadtviertel, Parks und urbane Zentren beruhen. Zugleich hinterfragt es unsere gängigen Vorstellungen von Energie- und Materialumwandlungen, die wir heute Stadt nennen.

Neben den Essays der im Umfeld der Harvard Graduate School of Design aktiven Herausgeber*innen und einer Reihe von Gastautor*innen finden sich im Buch Case Studies realisierter Bauten – mit Werken von Kengo Kuma, Michael Green Architecture, Tezuka Architects oder dem Illwerke Zentrum von Hermann Kaufmann –, aber auch landschaftsarchitektonische und urbanistische Projekte sowie spekulative Ansätze. Das alles ist schick gestaltet, ohne aufdringlich zu wirken, und wird üppig mit Fotos, Karten, Plänen und Zeichnungen illustriert. Erhellend sind auch die jedes Kapitel begleitenden Visual Essays. Diese von Künstler*innen, Forschenden oder Kollektiven geschaffenen Bildstrecken schaffen es, die skalenübergreifende Dimension darstellbar zu machen. Im Praxisbetrieb wohl am relevantesten ist das ebenfalls bebilderte Glossar, in dem beispielsweise Feinheiten wie die Unterschiede zwischen verschiedenen leimbasierten und nicht geklebten Massivholzbauweisen schematisch dargestellt oder die Vorteile der Verwendung verschiedener Holzarten in einem einzelnen Sandwichpaneel erklärt werden.

Das vielschichtige, Theorie und Praxis zusammendenkende Buch sei allen empfohlen, die sich ernsthaft mit Holz in der Architektur auseinandersetzen wollen.

Text: Alexander Stumm

Wood Urbanism. From the Molecular to the Territorial

Daniel Ibañez, Jane Hutton und Kiel Moe (Hg.)
Englisch
488 Seiten
Actar Publishers, Barcelona 2020
ISBN: 978-1-94515-08-14
49 Euro


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