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13.11.2018
Brutalistisches Tor zur Stadt
Wohnturm von Reinier de Graaf und OMA in Stockholm
Von Katrin Groth
Nebelig ist es auf der Dachterrasse im 36. Stock, 120 Meter über den Straßen von Stockholm – die im grauen Novemberwetter nur noch zu erahnen sind. Die Dachterrasse in den Wolken über der schwedischen Hauptstadt gehört zum ersten von zwei Türmen mit dem Namen Norra Tornen, des derzeit höchsten Wohnhauses der Stockholmer Innenstadt. Entworfen hat das Hochhaus, dessen Zwilling auf der Straßenseite gegenüber gerade sein Fundament gegossen bekommt, der Niederländer Reinier de Graaf, Partner in Rem Kohlhaas‘ Office for Metropolitan Architecture in Rotterdam. Für OMA ist es das erste Projekt in Schweden überhaupt.
In ein paar Wochen, wenn die letzten Arbeiten fertig sind, wird die Dachterrasse nicht mehr zu betreten sein, gehört sie doch zum darunterliegenden, 271 Quadratmeter großen Penthouse – das bereits verkauft sei, wie Kommunikationschefin Monica Nygren beim Rundgang erzählt. Von wem, verrät sie nicht, bei einem Kaufpreis von umgerechnet über sechs Millionen Euro nicht anders zu erwarten. Bei gutem Wetter dürfte die Sicht einmalig sein: nach Süden das Stockholmer Stadtzentrum, nach Norden Vororte und die beginnende Landschaft. Norra Tornen, die „Nördlichen Türme“, liegt im Norden Stockholms in Hagastaden, einem neuen Stadtteil rund um das Karolinska-Institut, das den Medizin-Nobelpreis verleiht.
Sind die beiden Türme einmal fertig, sollen sie das neue Tor nach Stockholm repräsentieren. So stellt es sich Oscar Engelbert vor, CEO von Oscar Properties und Bauherr, der sich ganz bewusst für de Graaf und seine architektonischen Vorlagen De Rotterdam und Timmerhuis entschieden hatte. 2013 hatte Oscar Properties, das in Stockholm ein weiteres Wohnhochhaus mit Herzog + de Meuron plant, den städtischen Wettbewerb für das Grundstück gewonnen. Ursprünglich waren an dieser Stelle zwei Türme vom damaligen Stadtarchitekt Aleksander Wolodarski geplant, die auf den ersten Blick an die Türme der Berliner Karl-Marx-Allee erinnerten.
Reinier de Graaf plante stattdessen höher und weniger glatt. Hunderte kastenartige Erker sprengen die Fassade, Terrassen liegen schützend zurückversetzt. Ein modulares System an Betonfertigteilen. Aus einer begrenzten Zahl von vorfabrizierten Fertigteilen wolle er eine größtmögliche Vielfalt schaffen, so der Architekt. Hinterher würde sich niemand mehr erinnern, wie das Gebäude konstruiert sei, dafür könne man jetzt Bauzeit und Kosten senken, so de Graaf. Und in sechs Tagen eine ganze Etage errichten. De Graaf: „Ich mag, dass nicht klar zu erkennen ist, ob ein Gebäude vorfabriziert ist.“ 182 Apartments wird es in dem Turm künftig geben, zwischen 44 und 271 Quadratmeter groß, verkleidet mit einer farbigen Betonrippenfassade mit freiliegender Steinkornmischung. Weil es wirken soll wie Backstein, erklärt de Graaf.
„Das größte Problem aber war der Lärm“, sagt der Architekt mit Blick auf die achtspurige Autobahn nebenan. Großformatige, dreifachverglaste Fenster – wie zum Beweis wummert der Architekt mit der Faust gegen die Scheibe im 16. Stock – sollen vor Autolärm schützen, gleichzeitig genug Tageslicht ins Innere lassen. Öffnen lassen sie sich nur an den Balkonen, Luft bekommt man trotzdem in allen Räumen: über versteckte Fenster, die sich hinter den Betonrippen zum Balkon hin öffnen.
Mit dem Fahrstuhl geht es wieder nach unten. Zwei junge Männer, einer hält einen kleinen schwarzen Hund auf dem Arm, nehmen denselben Weg. Seit September sind die ersten 16 Etagen des Hochhauses bewohnt, darüber wird noch immer gebaut. Fertig soll der Turm mit dem Namen „Innovationen“ Anfang nächsten Jahres sein. Sein mit 110 Metern kleinerer Zwilling „Helix“ soll Anfang 2020 vollendet sein. „Das Gebäude ist sehr skandinavisch, sehr schwedisch“, sagt de Graaf, „es zelebriert die Gleichheit.“ Und auch den Brutalismus.
Fotos: Laurian Ghinitoiu, Ossip van Duivenbode
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Der erste von zwei Türmen mit 182 Apartments wurde vergangene Woche eingeweiht, insgesamt sind 320 Wohneinheiten in beiden Türmen geplant.
Aus vorgefertigten Betonfertigteilen entstehen die beiden 125 und 110 Meter hohen Türme.
Das neue Tor nach Stockholm, wie Norra Tornen angepriesen wird, liegt im Stadtteil Hagastaden - und an einer achtspurigen Autobahn.
Architekt Reinier de Graaf mit dem Modell von Norra Tornen bei der Eröffnung.
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