Eine Straßenecke in Paris ist immer auch ein urbanes und architektonisches Event – so lautet die Maxime des Pariser Büros Brenac + Gonzalez, das in diesem Jahr eine solche Ecke zwischen der Avenue de la Porte d’Ivry und der Avenue Charles-Régaud im 13. Arrondissement mit einem triangelförmig angelegten Neubau, der Îlot Yersin, geschlossen hat. Die von Paris Habitat in Auftrag gegebene Seniorenresidenz mit integrierter Tagesklinik für Alzheimerpatienten soll Obdachlosen ein neues Zuhause bieten.
Die Funktion des Gebäudes als Zufluchtsort für ältere Menschen ohne festen Wohnsitz inspirierte die Architekten dazu, ein geradezu skulpturales Haus zu entwerfen, das beides zugleich sein kann: ein Ort des Miteinanders, an dem das Zusammenleben mit anderen wieder eingeübt und neu erfahren werden kann – in Form von großzügigen Gemeinschaftsflächen und Wohnarealen, Speiseräumen mit breiten Terrassen und weitgefassten Fenstern, die viel Tageslicht einlassen und den Blick auf die umgebende Stadt lenken. Und ein schützender Kokon für den Einzelnen – individuelle Wohnzimmer mit holzverkleideten Loggien und umschlossen von Glasplatten fungieren als Rückzugs- und Ruheorte für die neuen Bewohner, damit diese sich von der Härte des Lebens auf der Straße erholen können. Das Alzheimerzentrum wurde als offener, einladender Treffpunkt für Betroffene und deren Angehörige konzipiert. Die einzelnen Räume sind durch Farbe und Beleuchtung strukturiert, ein zentraler Weg sowie ein therapeutischer Garten schaffen weitere Orientierungspunkte und Anker.
Die visuelle Kraft des Gebäudes entsteht durch den Gegensatz der rauen, durchaus spröden Erscheinung des verwendeten rostroten, selbstverdichtenden Betons und der Brillianz der großflächigen, reflektierenden Fenster. Auf einem massiven Sockel entlang beider Straßenfluchten sitzen Obergeschosse, die in ihrer Geometrie variieren und deren tiefe Loggien wie aus dem Block gemeißelt erscheinen. Auf der Westseite schließt die Komposition mit großzügigen, begrünten Terrassen und einem hängenden Garten. In der Gebäudeecke am Schnittpunkt beider Straßen wird das Profil feiner und dünner, wodurch der Eindruck des Emporsteigens und einer gewissen Monumentalität entsteht – diese Silhouette lässt Assoziationen zum Bug eines Schiffes aufkommen. Damit kann die Îlot Yersin durchaus auch als gebaute Metapher für die Situation ihrer betagten Bewohner gelesen werden: Nach dem Befahren vieler Meere ist das bereits etwas rostige Schiff im Heimathafen angelangt, wo es nun fest am Kai vertaut liegt. (da)
Fotos : Sergio Grazia, Pierre L'Excellent und Stefan Tuchila
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