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04.04.2017

Tessiner Taktilität

Wohnhaus von Wespi de Meuron Romeo


Manchmal muss man den Autoren eines Entwurfs einfach widersprechen. So etwa im Fall eines Einfamilienhauses in der Nähe von Basel, über das die Architekten Wespi de Meuron Romeo schreiben, es füge sich durch „formale Zurückhaltung“ in seine Umgebung ein, in der man viele Häuser aus den Sechziger- und Siebzigerjahren finde. Irgendwie hält sich der Entwurf natürlich formal zurück, doch der Materialeinsatz ist alles andere als subtil: Die Tessiner Architekten setzten auf einen sehr rauen Waschbeton, der eine geradezu archaische Qualität ausstrahlt. In Kombination mit den frei gesetzten, unterschiedlich großen Fensterquadraten und zwei schweren Metalltoren aus Corten-Stahl entstand ein außergewöhnliches Haus, das außen wie innen Material und Raum zelebriert.
 
Wespi de Meuron Romeo haben ihr Büro im Dörfchen Caviano, direkt an der Grenze zu Italien. Das klingt nach Provinz, ist aber weit davon entfernt, wie jeder weiß, der jemals auf einer Architekturreise im südlichsten Kanton der Schweiz war und dort die eindrucksvollen Bauten der sogenannten Tendenza gesehen hat. Architekten wie Mario Botta, Luigi Snozzi, Flora Ruchat-Roncati, Livio Vaccini, Aurelio Galfetti oder Dolf Schnebli setzten dort seit Ende der Fünfzigerjahre Maßstäbe auf internationalem Niveau. Ziel war eine fruchtbare Verbindung von Rationalismus, Moderne, Geschichtsbewusstsein und Landschaftsbezug. Eine klare, wenn nicht gar strenge Grundhaltung und der Einsatz des Materials – nicht zuletzt viel Sichtbeton – spielte dabei eine entscheidende Rolle. Vor diesem Hintergrund ist auch die Arbeit von Wespi de Meuron Romeo zu sehen – von denen interessanterweise keiner an der Schweizer Kaderschmiede ETH Zürich studiert hat, obwohl die beiden älteren Partner keine Tessiner, sondern gebürtige Deutschschweizer sind.
 
Die taktilen Qualitäten des Materials spielen bei Wespi de Meuron Romeo immer eine große Rolle. Ob Waschbeton, rauer Putz, grob abgezogene Estrichböden, Back- oder Haustein, ob Neubau oder Arbeiten im Bestand – fast immer hat man es mit einer unglaublich intensiven und stimmungsvollen Inszenierung der Materialqualitäten zu tun, gerne in dunklen Grautönen. Das Haus bei Basel, das die Tessiner in Zusammenarbeit mit dem Basler Büro weberbuess Architekten realisierten, ist hier keine Ausnahme. Es liegt an der Ecke eines Hanggrundstücks und bietet auf drei Geschossen insgesamt 136 Quadratmeter Wohnfläche. Auf der untersten Ebene liegen Carport, Zugang, Lagerräume und Haustechnik. Auf der Ebene darüber befinden sich drei Schlafzimmer für die Familie, ein Bad sowie ein Gäste- und Arbeitszimmer. Ganz oben folgen Wohnbereich und Küche sowie ein geschlossener Gartenhof.
 
Diese schematische Aufzählung des Raumprogramms trifft jedoch nicht wirklich den Punkt einer Wohnarchitektur, deren Wände und Decken komplett mit einem sehr grob abgezogenen und grau gefärbten Kalkzement verputzt wurden. Gerade am offenen Wohnbereich kann man gut erkennen, um was es den Architekten ging. Der Raum changiert gekonnt zwischen Perforation und Geschlossenheit. Er zieht seine atmosphärischen Qualitäten aus den frei gesetzten Fensteröffnungen mit den warmen, naturgeölten Holzrahmen aus Eiche und den unglaublich präsenten Oberflächen der Wände, Decken und Böden, die dem Haus etwas Höhlenartiges verleihen. In eine ganz ähnliche Richtung weist auch die eher ungewöhnliche Lösung, den Freisitz in die Kubatur des Hauses zu intergrieren, teilweise zu überdachen und mit schweren Toren zu versehen.
 
Interessanterweise weist das Haus deutliche Ähnlichkeiten mit dem eigenen Wohnhaus von Jérôme de Meuron auf, das ungefähr zeitgleich in Caviano entstand. Man kann das Haus deshalb als einen Entwurf begreifen, mit dem sich die Architekten intensiv selbst identifizieren. Nur eines geht dem Haus ein wenig ab: Das üppige, mediterrane Grün des Tessins, der Ausblick auf die Berge und die Präsenz der Natur- und Kulturlandschaft, aus der heraus die architektonische Haltung dieses Projekts entwickelt wurde. (gh)

Fotos: Hannes Henz


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