Das Wiener Sonnwendviertel soll bis 2025 fertig gestellt sein. In der Nähe des Hauptbahnhofs entsteht hier ein weitestgehend autofreies Stadtquartier für über 10.000 Menschen. Urbane Experten sind bei solchen Großprojekten momentan schwer gefragt – es geht um innovativen Städtebau, neue Formen des Zusammenlebens und Arbeitens, um Nachbarschaft und Community. Die Architekten vom Wiener Büro StudioVlayStreeruwitz konnten kürzlich erst ihre Expertise mit der Wohnmaschine in Florisdorf unter Beweis stellen. Im Sonnwendviertel haben sie nun, direkt neben dem Quartiershaus von feld72, das Quartiershaus MIO fertig gestellt. Es entstand in Kooperation mit der Wohnbaugenossenschaft Heimbau und dem Strategiebüro Wohnbund:Consult.
Recht selbstbewusst sprechen die Architekten vom MIO als „(d)ein lässiger Typ“ in ihrer Projektbeschreibung. Lässig, ein eher unübliches Wort im Stadtplanungsvokabular, steht bei MIO für eine Anzahl unkonventioneller räumlicher und betrieblicher Eigenschaften. Darunter fallen Gewerbeeinheiten mit 25 bis 35 Quadratmetern im Erdgeschoss mit Niedrigmieten, eine ebenerdige Stadtloggia mit sozialen Nutzungen, eine ausgelassene Balkonpasserelle, ein Gründach sowie der adoleszent verpflanzte Quartiersbaum. Die in der Gesamtwirkung eher gewöhnliche Erscheinung des Gebäudes nennen die Architekten eine „Auf-den-ersten-Blick-Normalität“ mit Understatement.
Das Gebäude mit 40 Miet- und Eigentumswohnungen sowie Gewerbeinheiten wurde im Rahmen eines Bieterverfahrens ausgeschrieben, für das Bauträger und Planer*innen zusammen ein Konzept einreichen mussten. Das MIO Haus besteht aus einem horizontal liegenden L, aus dem ein 35 Meter hoher Turm herauswächst. Während im L-förmigen Rumpf in den unteren vier Geschossen ein dynamisches Grundrisskonzept für kombiniertes Wohnen und Arbeiten sorgt, wird im oberen Bereich des Turms ausschließlich gewohnt. Im „doppelten“ Erdgeschoss machen Deckenhöhen von 2,8 bis 4 Meter eine Durchmischung von Wohn- und Gewerbenutzungen möglich, sowie eine an beide Nutzungen ausgerichtete Ausstattung mit Teeküchen und Gemeinschaftsräumen.
Vergeben werden die Gewerbeeinheiten im MIO Haus nach einem von den Planer*innen entwickelten Konzept, das sich „Urban Upgrade“ nennt. Nach dem Motto „das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile“ verwalten und organisieren sich die Mikro-Unternehmer im MIO als eine „Small-Business-Community“ selbst und versuchen Kooperationen untereinander zu fördern. Letztendlich aber richtet sich der Erfolg solcher sozial engagierter Projekte wie dem MIO oft dann doch nicht nach der Stärke des Konzepts, sondern nach dem Mietpreis. Mit einer Nettomiete von vier bis elf Euro pro Quadratmeter für die Gewerbeeinheiten verdient sich das MIO seine Lässigkeit in jedem Fall. (kg)
Fotos: Bruno Klomfar
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mawa | 30.10.2019 10:56 UhrRückzug
Warum und wovor sollte man sich ausgerechnet auf den Balkon, den exponiertesten Teil der Wohnung, zurückziehen?