Schmal, betonsichtig, zerklüftet und bewachsen – das Tree-ness House in Toshimaku, einem zentralen Stadtviertel Tokios um den Bahnhof Ikebukuro herum, wirkt auf den ersten Blick wie ein riesiger Findling, auf dem Pflanzen sprießen. Das Wohnhaus mit Galerieräumen von Akihisa Hirata Architects (Tokio) scheint Ausguck und Kletterfelsen zugleich, auch wenn der Architekt selbst das Bild des Baums bemüht, um sein Projekt zu erläutern.
Bauherr des ungewöhnlichen Hauses ist der in Tokio und New York aktive Gallerist Taka Ishii, der neben einer Reihe japanischer Künstler auch international bekannte wie Thomas Demand, Dan Graham, Elmgreen & Dragset oder Martin Kippenberger im Programm hat. Ishii wünschte eine Kombination aus Wohnhaus mit Einliegerwohnung und Galerieräumen samt Büroflächen. Letzte liegen im schlecht belichteten unteren Teil des Hauses, die Wohnräume darüber. 330 Quadratmeter Nutzfläche entstanden auf dem schmalen Grundstück.
Box, Falte, Pflanze
Das Konzept erläutert Hirata anschaulich in Zeichnungen. Er begreift das Haus als Ansammlung von Boxen, die so gestapelt wurden, dass verschiedene Freiräume entstanden. Manche der Boxen wurden anschließend in zwei Stufen aufgebrochen: Im ersten Schritt falteten die Architekten eine Stelle der Box auf, anschließend wird dieser Bereich durch Pflanzen gerahmt. Für diese Strategie der Auffächerung vom massiven Sockel hinauf in die diversen Pflanztröge verwendet Hirata das Bild des Baumes.
Das Ergebnis ist ein Ineinander von Innen und Außen, eine Kombination von Beton und Bepflanzung und vor allem oben ein pittoreskes Gefüge aus geschlossenen Räumen und offenen Terrassen. Das Ergebnis kann als unfunktionale Kleinteiligkeit beschrieben werden, die etwas Spielerisches hat, die Ecken und Orte schafft, die einfach nur da sind, um begangen und erlebt zu werden, ohne bestimmten Zweck.
Das Zusammenspiel von städtischer Architektur und Tieren fasziniere Hirata, schreibt Hubertus Adam in seiner Besprechung des Hauses in der db. Er spricht von Vögeln auf schmalen Vorsprüngen, Katzen auf Dächern und Katzenleitern. Das sind poetische Momente der Beiläufigkeit, die wenig mit den Fragen zu tun haben, die den architektonischen Diskurs dominieren. Man mag hier eine geradezu kindliche Neugier erkennen, die mit der lustvollen Sinnlosigkeit der Ecken, Verstecken und Ausgucken korrespondiert, die man auf und in dem komplexen Raumgefüge des Hauses findet.
Arbeiten und Wohnen
Das Innere wirkt noch zerklüfteter als das Äußere. Ein Lichtschacht, Terrassen, Durchblicke und raumhohe Glasscheiben bieten ein aufregendes Raumerlebnis, versetzte Geschossebenen zusätzliche Komplexität. Die prinzipielle Gliederung ist allerdings leicht nachvollziehbar. Im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss liegen je ein hoher Galerieraum sowie Büroflächen. Im zweiten Obergeschoss befindet sich eine Einliegerwohnung, darüber erstreckt sich die Wohnung des Bauherrn. Ein schmaler Lift führt nur bis zum zweiten Obergeschoss, erschließt also die Einliegerwohnung und – über einen kurzen Treppenlauf – den Zugang zur Hauptwohnung.
Die Hauptwohnung erstreckt sich über fünf Halbgeschosse. Auf den unteren beiden liegen Essbereich und Küche beziehungsweise Wohnraum. Raumhohe Glasscheiben – die man auf den Fotos erst auf den zweiten Blick erkennt – schaffen visuelle Verbindungen zwischen diesen beiden Räumen über den Lichtschacht hinweg. Auf den beiden nächsten Ebenen liegen zwei kleine Kinderzimmer und das Schlafzimmer des Bauherren, auf der obersten Ebene das Bad. Hier beginnt sich die bauliche Struktur aufzulösen: Zwei offene Treppenläufe erschließen kleinteilige Terrassen und Dachflächen.
Überraschend ist das Interieur der Hauptwohnung auf den oberen Ebenen: Nach all den radikalen Ansätzen gibt es ein weiß verputztes Bad und Schlafzimmer mit simplen Deckenspots. Fast könnte man meinen, dass sich der Bauherr ganz oben in seinem wilden Haus ein fast schon konventionelles Refugium schaffen wollte, ganz ohne Sichbetonoberflächen und provozierende Einrichtung. (gh)
Fotos: Vincent Hecht