Bauvorschriften sind so eine Sache. Man klagt darüber – und dann gibt es doch immer wieder Entwürfe, die gerade aus einer Beschränkung heraus ihre besondere Qualität entwickeln. Letzteres trifft auf ein Einfamilienhaus zu, das Reichel Schlaier Architekten aus Stuttgart kürzlich fertiggestellt haben. Das Haus für eine fünfköpfige Familie steht in bester Stuttgarter Lage, leicht am Hang und mit unverbaubarem Blick nach Süden. Perfekte Voraussetzungen also, wenn da nicht die Vorschrift gewesen wäre, ein Satteldach zu errichten – so folgert man zumindest aus streng modernistischer Perspektive. Doch es ist gerade die Verbindung von traditioneller Dachform, rationaler Strenge und dem Wunsch des Bauherren nach Offenheit, die das zweigeschossige Haus im Stadtteil Feuerbach auszeichnet.
Auf Grund der Hanglage zeigt sich das Volumen zur Straße eingeschossig. Die Gliederung des Grundrisses ist einfach und klar. Man betritt das Gebäude auf der oberen Ebene, auf der das große Wohn- und Esszimmer mit angeschlossener Küche sowie zwei Arbeitszimmer liegen. Eine Treppe am Eingang führt hinab in das untere Geschoss, in dem ein weiterer, offener Wohnraum, vier Schlafzimmer, zwei Bäder und dienende Kellerräume angeordnet sind. Alle Wohn- und Schlafräume öffnen sich auf ganzer Breite und mit raumhohen Glaswänden nach Süden. Die gewünschte Offenheit erreichten die Architekten nicht zuletzt durch ihre Interpretation der traditionellen Dachform. Insbesondere an den hohen, komplett in weiß gehaltenen Wohnräumen, die sich großzügig bis hinauf zu den Dachschrägen entfalten, wird dies deutlich. Die verglasten Giebelflächen und ein durchgehendes Fensterband unterhalb des Dachansatzes unterstreichen diesen Eindruck ganz entscheidend. Sie sind darüber hinaus als gestalterischer Kommentar zu den Konventionen des Hausbaus zu verstehen.
Der strenge Habitus und der Umgang mit Wand- und Glasflächen lässt immer wieder an die spätmoderne Architektur der Sechzigerjahre denken; gerade weil Garten- und Straßenseite unterschiedlich behandelt wurden und sie doch wie zwei Variationen des gleichen Themas wirken. Geradezu japanisch mutet dagegen die Gestaltung des Übergangs von Innen nach Außen an, denn das gesamte Wohngeschoss wird von einem umlaufenden Balkon umfasst, an dessen Außenkante sich wiederum der weite Überstand des in Stahlbeton ausgeführten Daches orientiert. Korrespondierend dazu gibt es im unteren Geschoss eine Terrasse, die das Gebäude sockelartig begrenzt und vom Grün des Gartens distanziert. Die Tiefe dieses wettergeschützten Bereichs und einzelne, vorgesetzte Stützen verleihen Terrasse und Balkon eine besondere räumliche Qualität und machen sie zu einer Übergangszone, wie sie in Japan üblich ist. Das grau gedeckte Satteldach verortet das Haus aber dann wieder klar in einem deutschen Einfamilienhausgebiet. Ein überraschender, aber durchaus überzeugender Ansatz, in einer von Vorschriften geprägten Umgebung die Verbindung von Wohnen und Naturraum zu organisieren. (gh)
Fotos: Brigida González
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T.C | 25.01.2017 12:07 Uhr@ Fred
Bitte etwas die Phantasie anstrengen, die Bewohner haben später sicher auch Bücher, Stehleuchten, Bilder.
Einziger Kritikpunkt: Die Fugen in der GK Decke.