Wer die Schweiz noch immer nicht als ein Zentrum des gemeinnützigen Wohnens sehen mag, dem sei dieses von Dominique Boudet herausgebene Buch dringend empfohlen: Denn „Wohngenossenschaften in Zürich. Gartenstädte und neue Nachbarschaften“ stellt im Hauptteil nicht nur satte 51 Projekte vor, die seit dem Jahr 2000 fertig gestellt wurden beziehungsweise in den kommenden Jahren folgen werden – nein, es bettet diese durch umsichtige, ausführliche und gut zu lesende Texte und Interviews auch in die Geschichte und Gegenwart der Zürcher Stadtbaupolitik ein. Da wird die Bodenpolitik der Stadt umrissen und die Rolle der Besetzerbewegungen ebenso beleuchtet wie die der neuen Mittelschichtsfamilien mit ihrem Interesse an der Stadt. Architekt und langjähriger Leiter des Stadtbauamts Patrick Gmür wird interviewt, die Rolle der (vorgeschriebenen) Architekturwettbewerbe bei allen größeren Projekten dargelegt und die Innovationskraft der Grundrisse (Clusterwohnungen, Hallenwohnen) diskutiert.
Es ist diese Kontextualisierung, die das Studium der 51 Projekte spannend und sehr lohnenswert macht. Der Blick wird gelenkt und geschärft, denn so geht es nicht mehr darum, die Projekte auf ihr architektonisches Gefallen hin zu untersuchen, sondern sie vielmehr als das zu begreifen, was guter Wohnungsbau immer sein sollte: ein Stadtbaustein, der Leben zum Bestehenden zufügt. Die Projekte werden dann auch nicht chronologisch, sondern sortiert nach ihren städtebaulichen „Strategien“ vorgestellt: Die Kapitel heißen „Verdichtung“, „Parkstadt“, „Bestätigung der Straße“ oder „Durchmischung“. Das erweist sich als kluge Bündelung der in ihrer Unterschiedlichkeit (Größe, Intention, Programm, innovative oder eher konservative Grundrisse sowie die vielen verschiedenen Architektursprachen) beeindruckenden Beispiele. Kaum eines, dass nicht mit guten Schweizer Architekten aufwarten kann: Peter Märkli, Gigon Guyer, EM2N , Burkhalter Sumi oder Miroslav Šik. Kaum eines unter den Projekten, dass nicht neugierig macht.
Großer Verdienst des Buchs ist, dabei alle Projekte zwar durchaus knapp (auf je 2 bis 4, ausnahmsweise auch 6 Seiten) vorzustellen, aber mit allen nötigen Bildern und Zeichnungen vom Lageplan und Grundriss zum Schnitt oder Modellfoto so zu präsentieren, dass sie lückenlos zu verstehen sind. Dazu kommen hervorragende Kurztexte und ab und an zusätzliche, äußerst lesenswerte Statements von Protagonisten der Projekte – was eben nicht immer die Architekten sein müssen. „Wohngenossenschaften in Zürich“ ist ein beeindruckend gutes, intensives Buch, dass konsequenterweise mit einer Handlungsanweisung endet, wie man in der Schweiz eine Genossenschaft selbst gründen kann. Und man hat nach der kurzweiligen Lektüre unmittelbar Lust dazu, das auch in die Tat umzusetzen. Komm, lass uns eine Genossenschaft gründen, Baby!
Text: Florian Heilmeyer
Wohngenossenschaften in Zürich. Gartenstädte und neue Nachbarschaften
Dominique Boudet (Hg.)
Park Books, Zürich 2017
256 Seiten
ISBN 978-3-03860-041-1
68 Euro
Das Buch ist auch in einer englischen und einer französischen Version erschienen.
Zum Thema:
Die Baunetzwoche #494 beschäftigt sich mit zwei der größten und spannendsten neuen Wohngenossenschaften im Raum Zürich: „mehr als wohnen“ auf dem Hunzikerareal und „Zwicky Süd“ in Dübendorf.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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plm | 07.08.2018 15:59 UhrGratulation
Ein wunderschönes Buch, zweifellos. Gratulation an die Autoren und vor allem an den Verlag.
Der Titel ist vielleicht etwas optimistisch, denn die Städte Freiburg im Breisgau und Tübingen zählen immer noch deutlich mehr Projekte des gemeinschaftlichen Wohnens als Zürich, Berlin und München zusammen. Dort, wo seit Mitte der 90er Jahre eine regelrechte städtische Baukultur entstanden ist, die in der Breite der Bevölkerung für bezahlbaren Wohnraum sorgt, gibt man sich bescheiden. Die entstandene Vielfalt an Projekten wird nicht ständig publiziert und bleibt dadurch auch zum Glück wahrhaftig. Denn die redundante Berichterstattung über "mehr als wohnen auf dem Hunziker Areal oder die Kalkbreite hat die ästhetisch nur durchschnittliche Architektur der gezeigten Beispiele zu Ikonen hochstilisiert, die bei einer Begehung eher enttäuschend leblos erscheinen.