Das Entwicklungsgebiet mit dem Namen Lindenauer Hafen liegt etwa vier Kilometer westlich des Leipziger Stadtzentrums und umfasst eine Fläche von rund 40.000 Quadratmetern. Die Geschichte des Areals beginnt im Jahr 1938, als hier ein Industriehafen angelegt wurde, der die Stadt mit den europäischen Wasserstraßen verbinden sollte. Die Bauarbeiten stellte man jedoch mit Beginn des Krieges ein – weder Kanal noch Hafenbecken wurden fertiggestellt. Das Areal mit seinen typischen, aus den 1940er Jahren stammenden Speichergebäuden befand sich fortan in isolierter Lage und die Flächen lagen lange Zeit brach. 2015 wurde der Hafen endlich an den sogenannten Karl-Heine-Kanal angebunden, was auch den Beginn der Planung eines komplett neuen Stadtentwicklungsgebiets markiert.
Wo 2012 noch das Olympische Dorf angedacht war, entsteht seit 2016 nun ein Quartier mit 470 Wohnungen, das von der Stadt Leipzig mithilfe ihrer Tochtergesellschaft „Gesellschaft der Stadt Leipzig zur Erschließung, Entwicklung und Sanierung von Baugebieten mbH“ (LESG) realisiert wird. Ein 2021 fertiggestelltes, zweiteiliges Gebäudeensemble names Hafen Eins soll künftig den Auftakt des Viertels bilden. Für die beiden Bauten, die bereits mit dem Architekturpreis 2021 BDA Sachsen und dem Architekturpreis der Stadt Leipzig ausgezeichnet wurden, zeichnet das ortsansässige Büro W&V Architekten verantwortlich.
In direkter Nachbarschaft zum Genossenschaftshaus von Dix Tannhäuser (Leipzig) entwarfen W&V die zwei Baukörper mit insgesamt 56 Wohnungen, die sie selbst als Winkel und Turm bezeichnen. In den vom Bauträger Thamm & Partner (Berlin) beauftragten Häusern brachten sie jeweils fünf Stockwerke unter. Der turmartige Bau ragt dabei aus der Nachbarbebauung heraus, was sich durch größere Geschosshöhen begründet.
Zwar weisen die beiden Gebäude durch ihre Materialität und Anordnung Gemeinsamkeiten auf, lassen sich aber auch als Gegensätze deuten: einerseits ist da der Turm mit seiner klaren Kubatur und einer gleichmäßigen Fassadenrasterung, andererseits der etwas verspieltere Winkelbau mit aufgelockerter Fassade. Während sich der L-förmige Bau also eher zurücknimmt, zieht der Turm – auch durch seine Positionierung direkt am Wasser – mehr Aufmerksamkeit auf sich. Ganz bewusst habe man so eine Landmarke schaffen wollen, welche zeichenhaft für die Verbindung zwischen traditionellen Industriequartieren und intelligenter Nachnutzung stehe, sagen die Architekt*innen.
Die Bauten sind als Massivbau aus Mauerwerk mit Kerndämmung und Klinkervormauerung sowie mit Betondecken errichtet. Mit dem rotbraunen Backstein nehmen W&V Bezug auf die nahegelegenen Fabrikbauten. Und gehen noch einen Schritt weiter: Inspiriert von den Entwürfen Fritz Högers, Architekt der Leipziger Konsumzentrale, wählten sie Details, die nicht nur dem sachlichen Stil Högers nachempfunden sind, sondern auch das maritime Thema des norddeutschen Backsteinexpressionismus aufgreifen. Während die Bullaugenfenster recht eindeutige Assoziationen wecken, stellen die außenliegenden, weißen Vorhänge, die an Schiffsegel erinnern sollen, einen etwas versteckteren Bezug zum Sujet her.
Die Eigentumswohnungen mit zwei bis viereinhalb Zimmern und 47 bis 220 Quadratmetern lassen sich im höheren Preissegment verorten. Im Inneren setzt sich der Bezug zur Industriearchitektur fort: Raue Sichtbetonoberflächen und eine Deckenhöhe von 3,60 Metern im Turm erzeugen Loftcharakter. Im Erdgeschoss sind Gewerbeflächen und ein Café auf rund 300 Quadratmetern untergebracht. (dsm)
Fotos: Christian Rothe
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pedro | 30.05.2022 17:48 Uhr@3 auch ein architekt
Ich bin mir ziemlich sicher, das geht in D tatsächlich aktuell nur in Sachsen. Nur dort werden keine materiellen Anforderungen zur Kleinkindsicherheit bauordnungsrechtlich festgelegt.