Glas, Stahl, Beton. Das Geschäftsviertel La Défense im Pariser Westen ist eher für moderne Bürobauten denn für tobende Kinder und Familien bekannt. Das könnte sich jetzt ändern. Denn mit Îlot 19 hat das Büro um Farshid Moussavi (London) in La Défense gerade das erste Wohngebäude seit 30 Jahren realisiert.
Das 20 Millionen Euro teure Gebäude liegt westlich des markanten Grande Arche, eingerahmt von zwei Friedhöfen und der im Bau befindlichen U Arena von Christian de Portzamparc. Es ist Teil des großen Pariser Stadterneuerungsprojekts Les Jardins de l’Arche, das La Défense mit den Terrassen von Nanterre verbinden soll.
Die große Herausforderung: Nachts, wenn die Büros leer und die Angestellten nach Hause gegangen sind, lagen bisher auch die Straßen rings um den Grande Arche brach. Mit den neuen Wohnungen soll wieder Leben in das Quartier einziehen. Und so wagt Farshid Moussavi zusammen mit dem Entwickler Les Nouveaux Constructeurs auch den ganz großen Wurf und vereint auf 11.500 Quadratmetern Gesamtfläche verschiedenste Nutzergruppen. Ihr Ziel war es, ein hochwertiges Gebäude zu schaffen, das gleichzeitig Wohnungen für jeden Geldbeutet bietet.
Im mittleren Teil der ersten drei Stockwerke sind rund 100 Studentenwohnungen und im Erdgeschoss Gewerbeflächen angeordnet, um die Promenade des Jardins de l'Arche zu beleben. Die stegähnliche Promenade bildet eine direkte Fußgängerverbindung zum Grande Arche. Ergänzt werden die ersten drei Etagen sowie die sechs darüber liegenden Stockwerke mit neun Sozial- und 72 – laut Konzept bezahlbaren – Wohnungen. In den beiden obersten Stockwerken des elfgeschossigen Baus hat die aus dem Iran stammende Architektin Moussavi zehn Maisonette-Penthäuser untergebracht – zu Marktpreisen, wie anzumerken ist.
Angelehnt an vor-Haussmannsche Zeiten wurde mit dem 2011 im Wettbewerb prämierten Entwurf eine Gebäudetypologie geschaffen, die sowohl Bourgeoise und Beamte als auch Arbeiter und Studenten in einem einzigen Gebäude vereint – so zumindest die Idee. Unabhängig von ihren Nutzern sind alle Wohnungen in Randlage angeordnet. Dank fünf Erschließungskernen konnte dabei auf lange, dunkle Korridore verzichtet weden. Die dadurch entstandenen vier separaten Zugänge beugen gleichzeitig möglichen Nutzungskonflikten vor. Insbesondere die Studentenwohnungen werden über eine eigene Lobby erschlossen.
Richtung Süden sind die einzelnen Stockwerke um jeweils zwei Grad gegeneinander verschoben, damit möglichst viele Wohnungen einen Blick auf die historische Achse und den Grande Arche haben. Alle Wohnungen sind komplett verglast und mit einer Loggia oder einem Balkon versehen. Aluminium-Schiebe-Rollläden sorgen für Privatsphäre und Schatten. Der Richtung Südwesten orientierte Eingangsbereich liegt am westlichen Ende der historischen Pariser Achse, die den Louvre im Osten mit dem Arc de Triomphe im Zentrum und La Défense im Westen verbindet. Das Gebäude selbst bietet auf drei Seiten einen offenen Blick über die Stadt.
Ein guter erster Schritt also für mehr Vielfalt im Quartier – nur weniger gläsern wird es mit Moussavis Neubau natürlich nicht. Aber anders als wahrscheinlich in den nahen Bürotürmen haben die Menschen hier hoffentlich genügend Muße, auch mal einen Blick auf die moderne Stadtlandschaft zu werfen, die sich vor den Fensterbändern erstreckt. (kat)
Fotos: Stephen Gill, L'Image Contemporaine
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