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02.03.2023
Storytelling im Manga-Stil
Wohn- und Atelierhaus in Tokio von Tan Yamanouchi & AWGL
Japan hatte während der COVID-19-Pandemie weltweit die niedrigsten Fallzahlen. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt eine fest in der Kultur des Landes verwurzelte Bereitschaft zu gesellschaftlicher Verantwortung und individueller Anpassung zum Wohl der Gemeinschaft. Die Regierung musste gar keinen Lockdown anordnen, denn die große Mehrheit der Bevölkerung befolgte die Ratschläge der Wissenschaft zu Abstand, Masken und Homeoffice auch so. Eine Manga-Künstlerin nahm die dramatischen Veränderungen ihres bisherigen Arbeits- und Lebensstils – den Umstieg aus der Ateliergemeinschaft auf die Online-Produktion zuhause – gar zum Anlass, sich ein an die neuen Bedingungen angepasstes Haus bauen zu lassen. Im Mai 2020 beauftragte sie Tan Yamanouchi & AWGL (Tokio) mit dem Entwurf ihres Privathauses in Tokio, das zwei Personen und zwei freifliegende Eulen beherbergen sollte und im Herbst 2022 fertiggestellt wurde.
Das nur acht Meter hohe Wohnhaus ist als Holzrahmenbau realisiert. Auf dem 4,9 Meter schmalen und 14,7 Meter tiefen Grundstück variieren dabei auf einer Fläche von 86,5 Quadratmetern die über drei offene Geschosse verlaufenden Räume von privat bis öffentlich: Vom totalen Rückzug für den schöpferischen Prozess, über den Empfang von Gästen oder dem Raum für Besprechungen bis hin zum repräsentativen Ort für öffentliche Auftritte und Presseinterviews ist hier alles möglich. Die Bauherrin wünschte sich ein Haus, das neben seiner flexiblen Raumnutzung zugleich die Sinne für fiktionale Narrative inspirieren und „ein paar Zentimeter über dem Alltäglichen schweben“ sollte. Die Vorderseite des Hauses samt der Eingangssituation ist daher als Teil einer Handlung oder Filmszene konzipiert und plastisch gestaltet. Die glatte Fassade wächst vom Straßenrand schräg nach hinten aus dem Boden und entwickelt sich dynamisch-konkav zur fensterlosen vertikalen Hauswand. Darin eingeschnitten ist eine rundbogenförmige Öffnung, ein geheimnisvoller Tunnel mit matt schimmernden, metallenen Innenwänden, der zum Eingang führt.
Den geschossübergreifenden Innenraum haben die Architekt*innen als dreidimensionalen, kontrastreich mit dunklen Eichenholzböden, -podesten und -treppen durchkomponierten Hohlraum inszeniert. Das Split-Level-Prinzip generiert eine Abfolge von Räumen mit unterschiedlichen Höhen, wodurch bestimmte Wohn- und Arbeitsbereiche definiert und voneinander abgegrenzt werden. Ein 1,2 Meter breiter Lichthof auf der Nordseite in der Mitte des Hauses verbindet die Geschossebenen und fungiert als „Leere“ im Gegensatz zu den maximal genutzten Flächen. Fenster nach außen sind unregelmäßig und in durchdachtem Bezug zur Inneneinrichtung gesetzt, zum Beispiel als Teil der wandbildenden Regale aus Kirschholz. Die beiden Eulen sollen sich – so zeigt es jedenfalls der Schnitt – als Teil der atmosphärischen Inszenierung frei im offenen Raum bewegen. (uav)
Fotos: Katsumasa Tanaka
Zum Thema:
Dass in der japanischen Hauptstadt der einfallsreiche Umgang mit rarer Fläche ein viel dekliniertes Thema ist, zeigt sich auch in einem Quaderstapel für eine Familie mit zwei Katzen, einem nur 18 Quadratmeter großen Miniwohnhaus oder dem Mikrowohnhaus „Blue Train“. Die Baunetzwoche#595 widmete sich Ideen für Tokios leere Häuser.
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