- Weitere Angebote:
- Filme BauNetz TV
- Produktsuche
- Videoreihe ARCHlab (Porträts)
06.02.2018
Baukulturelle Erbschleichereien
Wien, das Welterbe und ein umstrittenes Hochhaus
Seit dem Jahr 2001 steht die Wiener Innenstadt auf der Welterbeliste. Letzten Sommer hatte die UNESCO Wien auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt. Der Grund: Die Hochhauspolitik der Stadt, die in einem 66 Meter hohen, bereits genehmigten Apartmentturm am Heumarkt kulminiert. Vergangene Woche endete das Ultimatum des Welterbe-Komitees, von dem Hochhausprojekt abzurücken. Unser Autor sieht in Wiens Umgang mit dem Weltkulturerbe einen Spiegel der politischen Verfasstheit Österreichs.
Ein Kommentar von Reinhard Seiß
Es war ein Paukenschlag, als Österreichs neuer Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der rechtspopulistischen FPÖ und sein Koalitionspartner, Kanzleramts- und Kulturminister Gernot Blümel von der konservativen ÖVP, am 1. Februar vor die Medien traten. An diesem Tag endete das Ultimatum des Welterbe-Komitees, um vom umstrittenen und im Vorjahr vom Wiener Gemeinderat genehmigten Hochhausprojekt in der UNESCO-geschützten Innenstadt Wiens doch noch abzurücken. Bis Dezember hatten sich die sozialdemokratischen Kulturminister als offizielle Ansprechpartner der UNESCO hinter die investorenfreundliche Position des rot-grünen Wien gestellt. Nun aber ist die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung auf Konfrontationskurs zur Hauptstadt: Als „riesigen Schaden für Wien“ bezeichneten Strache und Blümel den möglichen Entzug des Welterbe-Titels. Und versprachen, „sämtliche rechtlichen Schritte“ zu prüfen, um das konfliktreiche Bauvorhaben noch abzuwenden. Nicht zuletzt, weil Wiens Hochhauspolitik willkürlich und im Sinne von Geschäftemachern sei.
Dies beklagen Experten seit mindestens drei Jahren. Damals ersetzte die Stadtregierung das ohnehin schon zahnlose Hochhauskonzept von 2002 durch ein noch beliebigeres. Dieses rechtfertigte nachträglich die bereits 2012 politisch abgesegneten Pläne des schillernden Risikokapitalmanagers Michael Tojner für einen erst 73 Meter hohen und inzwischen 66 Meter hohen Luxusapartmentturm. Für den Standort unweit der Ringstraße hatte die UNESCO von Anfang an eine maximale Höhe von 43 Metern als gerade noch stadtbildverträglich definiert. Dafür hatte sie das benachbarte Hotel Intercontinental aus den 1960er Jahren als Maßstab genommen. Diesen sanierungsbedürften Komplex hatte Tojner ebenfalls gekauft, um ihn in sein Gesamtprojekt eines multifunktionalen Komplexes mit Wohn-, Hotel-, Kongress-, Gastronomie- und Freizeitnutzungen in bester Lage zu integrieren. Dieser soll nach Plänen der Architekten Isay Weinfeld (São Paulo) und Sebastian Murr (Diessen am Ammersee) am Heumarkt, zwischen Stadtpark und Konzerthaus entstehen.
Instrumentarisierbare Planungsverwaltung
Für breite Empörung sorgt in Wien nicht nur die kommunalpolitische Ignoranz gegenüber der UNESCO, sondern auch die willfährige Preisgabe jeglicher planungspolitischen Seriosität. So stammten die städtebaulichen Ziele für den Standort nicht von der Planungsbehörde, sondern vom Projektwerber selbst. Oder anders, die Behörde hat einen B-Plan nach Tojners Vorgaben maßgeschneidert. Und nicht die Planungsbeamten befanden über die angemessenen Dichten und Höhen, sondern ein vom Investor bezahltes Team.
Bis zur Genehmigung des Bauvorhabens im Wiener Gemeinderat im Frühjahr 2017 offenbarte sich in beispielloser Art, wie sehr Politik und Planungsverwaltung, aber auch als unabhängig geltende Vertreter von Planungswissenschaft und Medien für immobilienwirtschaftliche Begehrlichkeiten instrumentalisierbar sind: sei es ein Städtebauprofessor, der zur Freude des Rathauses die Unplanbarkeit heutiger Städte proklamiert, seien es Architekturpublizisten, die den Investor zu einem altruistischen Gönner Wiens hochjubeln. Der sozialdemokratische Bürgermeister Michael Häupl wiederum entblödete sich nicht, der UNESCO die Schuld am Konflikt zuzuschieben, während seine grüne Vizebürgermeisterin und Planungsreferentin Maria Vassilakou die eigene Partei zu spalten drohte, als sie ein Votum ihrer Mitglieder gegen das Luxushochhaus in der Sichtachse des „Canaletto-Blicks“ auf die Innenstadt hinwegwischte.
Peinlichkeit vorerst abgewendet
Überraschen hätte all dies trotzdem nicht dürfen. Nott Caviezel, Professor für Denkmalpflege an der TU Wien, förderte etwa zu Tage, wie das Rathaus bereits wenige Jahre nach Ernennung des Zentrums zum Welterbe 2001 in einem fachlich fragwürdigen Memorandum seine eigenwillige Sicht auf einen adäquaten Umgang mit der Bauhistorie darlegte – und sich selbst einen Freibrief für eine „zeitgenössische“ Weiterentwicklung der Altstadt ausstellte. Die damals rot-schwarze Bundesregierung wiederum hatte solchen Interpretationen bereits bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags mit der UNESCO 1992 Vorschub geleistet. In der entsprechenden Regierungsvorlage zum Schutz des Welterbes hatte sie in umfangreichen Erläuterungen zentrale Verpflichtungen aufgeweicht und relativiert.
Insofern bleibt abzuwarten, inwieweit die bundespolitische Schelte gegenüber Wien von ernsthaftem Bemühen um eine qualitätvollere Stadtentwicklung getragen ist. Aussagen von Vizekanzler Strache, wonach man sich für den Luxuswohnturm einen Kompromiss bei etwa 55 Metern Höhe und für die (viel zu große) Gesamtkubatur des Projekts eine Verlagerung von der Höhe in die Breite vorstellen könne, deuten auf einen klassisch österreichischen Lösungsansatz hin. Immerhin scheint die Bundesregierung damit aber eine Peinlichkeit abgewendet zu haben: Nämlich dass Wiens Altstadt bereits kommenden Sommer von der Welterbe-Liste gestrichen wird – wenn Österreich, noch dazu im Europäischen Jahr des Kulturerbes, turnusgemäß seine EU-Ratspräsidentschaft antreten wird.
Auf Karte zeigen:
Google Maps
Kommentare:
Kommentar (1) lesen / Meldung kommentieren
Blick vom Belvedere auf das geplante Projekt
Perspektive von der Lothringerstrasse – Entwurf Isay Weinfeld und Sebastian Murr
Areal im Sommer – Entwurf Isay Weinfeld und Sebastian Murr
Areal im Winter – Entwurf Isay Weinfeld und Sebastian Murr
Bildergalerie ansehen: 6 Bilder