Eine jahrzehntelang praktizierte geplante Obszoleszenz von Produkten und eine weit verbreitete Wegwerfmentalität haben weltweit zu massiven Problemen geführt: Unser Müll wächst uns über den Kopf – bei gleichzeitig rapide schwindenden Ressourcen. Das Bauwesen macht dabei keine Ausnahme. Auch hier befördern fehlende Haltbarkeit und Reparaturfähigkeit ebenso wie unflexible Gestaltung, ein stures Beharren auf einem vermeintlichen „Originalzustand“ und die Vorliebe für lineare, abgeschlossene Bauvorhaben mit klarer Autorschaft Abriss, Ersatz und inflationären Neubau. Themen wie Instandsetzung, Ertüchtigung, Umbau und Erweiterung wurden hingegen lange vernachlässigt.
Dass dringend ein Umdenken stattfinden muss, wird angesichts der ökologischen Folgen dieser Haltung immer deutlicher. Zirkuläre Bauprozesse und eine damit verbundene Wertschätzung von Dauerhaftigkeit, Reparatur und Wiederverwendung sind gefragt, Begriffe wie „Urban Mining“ – ein Konzept, das die Stadt als riesiges Rohstofflager betrachtet – und „Upcycling“ – die Weiternutzung schon vorhandener Gebäude, Bauteile und Materialien unter anderen Vorzeichen und verbunden mit ihrer gleichzeitigen Aufwertung – zählen zu den neuen Schlagworten unserer Zeit. Sie standen auch im Mittelpunkt eines zweiteiligen wissenschaftlichen Symposiums am Institut für Architektur und Raumentwicklung der Universität Liechtenstein, das 2018 und 2019 unter dem Titel „Reuse & Upcycle – Wieder- und Weiterverwendung als Gestaltungsprinzip in der Architektur“ stattfand. Nun liegt die Publikation „Upcycling“ vor, die Thesen und Beispiele zum Thema in handlicher Form und schöner Gestaltung zusammenfasst.
„‚Neues‘ Bauen wird sich vom Dogma des Neubaus lösen müssen“, so lautet die zentrale Erkenntnis der zwölf in dem Buch versammelten Aufsätze. Ebenso wie das Symposium besteht es aus zwei Teilen und liefert eine theoretische und historische Unterfütterung des Begriffs „Upcycling“, allerdings mit starkem Fokus auf die Region um Liechtenstein. Während der erste Abschnitt „Geschichte der Wieder- und Weiterverwertung“ zeigt, dass ein Begreifen des Vorhandenen als architektonisches Potenzial eine lange Tradition hat, plädiert „Wieder- und Weiterverwertung der Geschichte?“ dafür, Baubestand entgegen aktuellen Maximen von Abgeschlossenheit und Eindeutigkeit als Teil eines stets im Fluss befindlichen gesellschaftlichen Wandlungsprozesses und als Materialressource der Zukunft zu begreifen.
Jedoch sollte Upcycling dabei nicht mit Recycling verwechselt oder gleichgesetzt werden, das, wie Andreas Hild von Hild und K Architekten aus München im Vorwort betont, als „Downcycling“ nicht nur energetisch die schlechtere Variante darstelle: Während mit der Zerlegung und Rückführung von Bauteilen und -materialien die in sie eingeschriebene Geschichte und Erinnerung verlorengehe, resultieren aus der Wiederverwendung ganzer Gebäude und Komponenten vielschichtige Bauten im Sinne eines Palimpsests. In ihnen kann das Alte mit dem Neuen in einen bereichernden Dialog treten, sodass neue Zeichenkombinationen und Bedeutungen entstehen. Ein anschauliches Beispiel für eine solche „Kultur des Weiterbauens“ liefert das Buch gleich selbst: Der Einband besteht aus handgeschöpftem Papier, das aus alten, von den Autor*innen zur Verfügung gestellten Büchern entstand. Er besticht nicht nur durch seine besondere Haptik, sondern beflügelt mit noch stets lesbaren Buchstaben und Wortfragmenten auch die Fantasie.
Text: Diana Artus
Upcycling. Wieder- und Weiterverwertung als Gestaltungsprinzip in der Architektur
Daniel Stockhammer (Hg.)
Deutsch/Englisch
220 Seiten
Triest Verlag, Zürich 2020
ISBN 978-3-03863-046-3
39 Euro
Zum Thema:
Der Deutsche Pavillon in Venedig setzte sich auf der Architekturbiennale 2012 unter dem Titel „Reduce Reuse Recycling“ ebenfalls mit der Ressource Architektur auseinander. In der BAUNETZWOCHE#269 spricht der damalige Kurator Muck Petzet über das Thema Umbau und über Missverständnisse in der Denkmalpflege.