Wer mit dem Zug nach München einfährt, hat den Eindruck, die ganze Stadt sei eine einzige Baustelle. Über Kilometer erstrecken sich die beeindruckenden Arbeiten für die „zweite Stammstrecke“ der S-Bahn, die alte Schalterhalle des Hauptbahnhofs wurde letztes Jahr abgerissen und der gesamte Bahnhofsvorplatz wird weiträumig umgebaut. Doch nicht nur das Zentrum verändert sich massiv. In vielen Stadtvierteln der bayerischen Landeshauptstadt werden aktuell große Wohnquartiere fertig (etwa an der Ecke Drygalski-Allee/Boschetsrieder Straße) oder sind im Bau (beispielsweise das Quartier an der Paul-Gerhardt-Allee) – um nur zwei von vielen Projekten zu nennen.
Ein wesentliches Instrument der Münchner Wohnbauplanung ist das Konzept der Sozialgerechten Bodennutzung, das seit 26 Jahren angewandt wird, um Planungsbegünstige an den anfallenden Infrastrukturmaßnahmen zu beteiligen und zur Schaffung von 40 Prozent gefördertem Wohnungsbau zu verpflichten. Vor diesem Hintergrund ist ein aktuelles Wohnbauprojekt auf dem 21 Hektar großen Gelände der ehemaligen Eggarten-Siedlung in München-Feldmoching zu sehen, das sich als „nachhaltiges Modellquartier für genossenschaftlichen Wohnungsbau, Mobilität, Energie und Klimaschutz“ begreift und bei dem private Immobilienwirtschaft und genossenschaftliche Akteure kooperieren.
Das neue Quartier soll durch „klimaschonende Energieversorgung, einen hohen Anteil erneuerbarer Energien, grüner Architektur und einen optimalen energetischen Gebäudestandard“ Maßstäbe setzen, schreiben die Bauherren. Außerdem sollen neue Mobilitätskonzepte integraler Bestandteil der Planung werden, sodass ein weitgehend autofreies Quartier entsteht.
In einer sehr frühen Planungsphase und aus eigenem Antrieb haben sich die Eigentümer des Areals – die CA Immo und die Büschl Unternehmensgruppe – mit der Genossenschaftlichen Immobilienagentur München GIMA (ein Zusammenschluss von aktuell 32 genossenschaftlichen oder gemeinnützigen Wohnungsunternehmen) zusammengetan. Ziel der Kooperation: Bis zu 50 Prozent der insgesamt 1.750 bis 2.000 Wohnungen sollen durch Genossenschaften und gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften errichtet werde, bei einer Preisbindung von bis zu 60 Jahren. Beide Eckdaten liegen über den verbindlichen Richtwerten der Sozialgerechten Bodennutzung.
Wer planerische Maßstäbe setzen will, lobt selbstverständlich einen hochkarätig besetzten Wettbewerb aus. Die Ergebnisse des nicht offenen, städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerbs liegen nun vor. Das Preisgericht unter Vorsitz von Markus Allmann vergab in seiner Sitzung Mitte Juli unter 14 eingereichten Arbeiten folgende Preise:
- 1. Preis: Studio Wessendorf mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten (beide Berlin)
- 2. Preis: Ernst Niklaus Fausch Partner mit Hager Partner und Amstein + Walthert (alle Zürich)
- 3. Preis: Palais Mai (München) mit grabner huber lipp (Freising)
- Anerkennung: Behnisch Architekten (München) mit Treibhaus Landschaftsarchitektur (Hamburg)
- Anerkennung: Tovatt Architects & Planners, Schweden (Stockholm)
- Anerkennung: West 8 urban design & landscape architecture (Rotterdam)
Über den erstplatzierten Entwurf von
Studio Wessendorf mit
Atelier Loidl urteilte die Jury: „Die Arbeit besticht mit einer einfach städtebaulichen Struktur sich verzahnender Blöcke.“ Und weiter: „Die kleinteiligen baumüberstandenen Plätze lassen ein grünes, vielfältiges Quartier erwarten. Dank der differenzierten, maßstäblichen Freiräume entstehen glaubwürdige Orte für erdgeschossige Nichtwohnnutzungen.“ Die Preisrichter ziehen das Fazit, dass der Entwurf „ein robustes Konzept für eine vielfältige Stadtstruktur bietet, die sehr fein aus dem bestehenden Ort entwickelt wurde.“
An der Arbeit von
Ernst Niklaus Fausch mit
Hager und
Amstein + Walthert (2. Preis) gefiel der Jury die „intensive Auseinandersetzung mit vorhandenen Strukturen und Atmosphären.“ Das Zürcher Team setzte auf eine klare Dreiteilung des Areals mit 6- bis 8-geschossigen Bauten am Nordrand, einer kleinteiligen Struktur im mittleren Bereich und einem Band sozialer Infrastrukturen im Süden. Die Jury lobte die charmanten Blicke von den Hochhäusern auf den Lerchenauer See, kritisierte jedoch den durchgängigen Sockelbereich als Barriere zur Umgebung. Negativ wurde außerdem bewertet, dass zwischen sozialer Infrastruktur und Wohnbauten eine Straße liegt.
Palais Mai mit
grabner huber lipp erreichten mit ihrem „konsequent urbanen“ Entwurf den dritten Platz. Der Entwurf weist den kleinsten Fußabdruck aller 14 Arbeiten auf und setzt auf eine Struktur aus Wohnhöfen sowie Hochpunkten von 8 bis 18 Geschossen. Die „Gratwanderung mit der städtebaulichen Dichte hat jedoch ihren Preis“, schreiben die Preisrichter. Erhebliche Verschattung, ungünstige Tageslichperformance, erhöhte Wärmebelastung im Sommer sowie eine negative Nutzbarkeit und Atmosphäre der Höfe werden als Defizite genannt.
Auf der Basis des Wettbewerbs soll bis 2023 das Bebauungsplanverfahren abgeschlossen werden. Zwei Jahre später könnten vielleicht schon die ersten Bewohner*innen einziehen.
(gh)
Zum Thema:
Alle Arbeiten des Wettbewerbs sind noch bis Sonntag, 9. August 2020 im Isarforum (Museumsinsel 1, 80538 München) zu sehen. Die Ausstellung ist täglich von 12 bis 20 Uhr geöffnet.
www.eggarten-siedlung.de
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ixamotto | 04.08.2020 18:35 Uhr@Dr.Yikes
Die Sozialgerechte Bodennutzung ist sicherlich nicht perfekt. Aber zu behaupten, sie sei für die unbegrenzte Wertsteigerung von Bestandsbauten verantwortlich, ist ungefähr so, wie wenn man jemandem weismachen wollte, man könne sich gegen Corona immunisieren, indem man sich Bleichmittel injiziert.
Das das also Quatsch ist erkennt man schon daran, dass "unbegrenzte Wertsteigerung von Bestandsbauten" auch in wachsenden Städten zu beobachten ist, die das kritisierte stadtplanungspolitische Instrument nicht kennen oder anwenden.
Wahrscheinlich ist das Problem doch eher das private Verwertungsmonopol auf den Besitz an Bestandsbauten, in Verbindung natürlich mit einer hohen Nachfrage und zunehmend finanzialisierten und global integrierten lokalen Wohnungsmärkten, in denen Wohnraum zur Devise und von seinem eigentlichen Gebrauchswert atemberaubend weit entkoppelt wird.
Aus aktuellem Anlass also auch hier die Warnung: Vorsicht vor falschen Doktoren! Als nächstes erzählen sie Euch was von der Existenz von Reptilienmenschen und Dämonensperma und daran glaubt doch niemand, oder?
Und dann noch das hier: "Ein Mann ohne Grund ist kein freier Mann." Sounds like very creepy Nazi-trash...
Schönen Tach noch, fake Doktorchen.