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25.05.2018

Der Gasteig ist tot, lang lebe der Gasteig!

Wettbewerb für die Generalsanierung der Münchner Kulturinstitution entschieden


Von Gregor Harbusch

Zuerst wurde die Ausweichstätte geklärt, nun geht’s in München ans Eingemachte: an die Generalsanierung des Gasteigs, dem größten Kulturzentrum seiner Art in Deutschland. Der mächtige, mit Klinkern verkleidete Klotz ist unter anderem Spielstätte der Philharmoniker, Hauptstandort der Volkshochschule und Zentrale der Stadtbibliothek. Und das sind nur die wichtigsten Nutzer des riesigen Komplexes, in dem jedes Jahr um die 1.800 Veranstaltungen stattfinden, die von knapp zwei Millionen Menschen besucht werden.

Doch trotz dieser beachtlichen Zahlen und Fakten hat das Haus Probleme. Die Akustik des großen Saals ist problematisch, es gibt funktionale Mängel, und es besteht technischer Sanierungsbedarf. Schlimmer noch: Der massive Komplex, der in den Jahren 1978–85 von der Architektengemeinschaft Raue Rollenhagen Lindemann Grossmann realisiert wurde, ist vielen in München aus ästhetischen und städtebaulichen Gründen ein Dorn im Auge. Die expressive,  massive Setzung am östlichen Hang oberhalb der Isar hat wenig Freunde.

Abriss oder Generalsanierung?

Nachdem sogar über den Abriss des Komplexes nachgedacht worden war, entschied man sich in der bayerischen Landeshauptstadt doch für eine Generalsanierung, bei der bis auf die Rohbaukonstruktion rückgebaut werden kann. Im September letzten Jahres lobte die Gasteig München GmbH deshalb einen nichtoffenen Realisierungswettbewerb aus, der durch das Büro Landherr und Wehrhahn (München) betreut wurde. Neun Büros waren gesetzt, 18 weitere wurden über ein vorgeschaltetes Auswahlverfahren bestimmt. Doch nur 17 Teams reichten schließlich einen Entwurf ein. Das Preisgericht unter Vorsitz von Volker Staab vergab am Freitag vor Pfingsten drei erste Preise und zwei Anerkennungen:

  • 1. Preis: Wulf Architekten (Stuttgart), club L94 Landschaftsarchitekten (Köln) und theapro | theater projekte daberto + kollegen (München)

  • 1. Preis: Henn Architekten (München) und Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten (München)

  • 1. Preis: Auer Weber Architekten (München) und grabner huber lipp Landschaftsarchitekten (Freising)

  • Anerkennung: Boltshauser Architekten (Zürich), Sergison Bates Architekten (Zürich) und Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt (Bern)

  • Anerkennung: Peter Haimerl. Architektur (München), LUDES Architekten – Ingenieure (Recklinghausen) und Keller Damm Kollegen (München)

Die Erstplatzierten wurden zur Überarbeitung aufgefordert. In drei Monaten will man sich wieder treffen und eine endgültige Entscheidung treffen. Anders als beim Neubau für das Konzerthaus München, wo die Entscheidungsträger sehr bewusst noch keinen Kostenrahmen festgelegt haben, hat der Münchner Stadtrat beim Gasteig eine verbindliche Kostenobergrenze festgesetzt: Maximal 410 Millionen Euro soll die Generalsanierung kosten.

Gasteig bewahren und völlig Neues wagen

 
Ein Blick auf die Außenansichten macht schnell deutlich, dass viele Teilnehmer sich für einen völlig neuen architektonischen Ausdruck des Hauses entschieden. Zentral sei – laut Volker Staab – die Frage gewesen: „Wie können wir die Qualitäten des Gasteigs bewahren und zugleich etwas völlig Neues wagen?“ Rückbau bis zum Rohbau heißt eben auch, dass es die Möglichkeit für eine neue, offenere Hülle gibt, die wiederum die Verbindung zur Stadt stärken kann.

So entschied sich das Team um Wulf Architekten (Stuttgart) beispielsweise für eine klare und starke Form, die mit ihrer massiven Pfeilerstruktur – laut Juryprotokoll – ein Spiel von „Abgrenzung und Filter“ spiele, das in ähnlicher Form auch den Bestandsbau auszeichne. Dies führte zu kontroversen Diskussionen in der Jury: „In Frage gestellt wird die Überzeichnung durch die zinnenartige Überhöhung, die gleichzeitig das Kulturell-Sakrale adressiert.“ Uneingeschränkt gut gefiel den Preisrichtern demgegenüber das große Foyer, das alle Bauteile überspannt und das die Jury als von „Licht und Lufträumen gefluteter, mit Treppenanlagen durchzogener Raum“ beschreibt, der viel für „das Gemeinsame“ leiste. Es sei „beachtlich, wie die Verfasser aus der baulichen Substanz mit anscheinend wenigen Justierungen eine richtig überzeugende Antwort“ gefunden haben.
 
Geradezu konträr zum Entwurf der Stuttgarter Kollegen setzte das Büro Henn aus München auf einen zweigeschossigen, horizontalen Einschnitt, der mit einer weitgehend geschlossenen Fassadenhülle kontrastiert, in die eine große Medienfassade integriert werden soll. Offen- und Geschlossenheit werden klar akzentuiert. Den vollverglasten Einschnitt bezeichnen die Architekten als „Kulturbühne“, die als Rückgrat den Bau innen und außen neu gliedert. Grundkonzept der Arbeit sind relativ minimale Eingriffe und eine starke Integration des Bestands, was der Jury grundsätzlich gut gefiel. In einigen Fällen gelingt mit dieser Strategie die Umdeutung vermeintlich problematischer Bauteile zu neuen, architektonischen Elementen, etwas im Fall einer ungünstig gelegenen Treppenanlage auf der Ebene der „Kulturbühne“, die zu einer bespielbaren Raumskulptur transformiert werden soll. Überzeugt zeigte sich die Jury auch von der städtebaulichen Einbindung des Gasteigs durch eine große Treppenanlage, der die Architekten ein eigenes Rendering widmeten.
 
Eine breite Treppenanlage spielt auch im Entwurf von Auer Weber eine zentrale Rolle. Das Münchner Büro möchte damit die Öffnung des Hauses zur Kreuzung Am Gasteig/Rosenheimer Straße deutlich verbessern. Dieser Öffnung widerspricht auf gewisse Weise die Ausformulierung der Hülle, denn hier setzen die Architekten auf eine gelochte Blechfassade. Kritisch merkt die Jury hierzu an, dass dies „keinen Bezug der dahinter liegenden Nutzungen zur Stadt“ und keine Ausblicke ermögliche. Auch die Massivität der Philharmonie und das organisatorische Grundkonzept des Umbaus diskutierte die Jury kontrovers. Grundgedanke ist die Idee, den Gasteig als „Stadt in der Stadt“ zu interpretieren und die einzelnen Institutionen durch prägnante eigene Baukörper zu akzentuieren. Die Preisrichter empfanden diesen Ansatz als „unpassend“ und erkannten einen Mangel an gemeinsamen Flächenangeboten.

Behutsamkeit und Rochade

Zwei auffällig gegensätzliche Projekte wurden durch Anerkennungen ausgezeichnet. Das Projekt der Zürcher Büros Boltshauser Architekten und Sergison Bates Architekten wurde für seine „gezielte, feinfühlige Anpassung“ gelobt. Statt massiver Eingriffe setzten die Schweizer auf sensible Umbauten des Bestands. Die städtebauliche Situation bleibt weitgehend unverändert, der prägnante Bauteil der Philharmonie soll eine gediegen-sachliche neue Hülle bekommen. Bezeichnenderweise moniert die Jury an dieser zurückhaltenden Setzung das Fehlen „eines stärkeren und selbstbewussten Auftritts“. Ein Clou wäre die Aktivierung des Dachbereichs der Philharmonie gewesen. Unter großen Kosten hätten die Architekten hier gerne die Volkshochschule und die Gastronomie untergebracht. Fazit der Jury: Der entwurfliche Ansatz zeige nicht zuletzt die „Grenze der Leistungsfähigkeit des Bestandes“ auf.

Das Team um den Münchner Peter Haimerl wurde für seinen demgegenüber radikalen Ansatz einer „großen Rochade“ ausgezeichnet: Philharmonie und Bibliothek sollen die Plätze tauschen, was zumindest für die Philharmonie den Verzicht auf eine bauliche Interimslösung ermöglicht hätte. Die Bibliotheksnutzer wiederum hätten sich über einen ikonenhaft riesigen, geradezu skurrilen Lesesaal gefreut, der jedoch nicht den Anforderungen an eine zeitgemäße Bibliothek genügt. Die „auffällig fremdartige“ Hülle des verlagerten und neuen Bauteils für die Philharmonie empfand die Mehrheit der Jury als „unangemessen“.

Kommentar

Obwohl die Frage einer neuen Hülle nicht im Zentrum des Wettbewerbs für die Generalsanierung stand, zeigt das Ergebnis eine erstaunliche Bandbreite teils spektakulärer Entwürfe. Viele Verfasser schöpften aus dem Vollen. Erstaunlich ist die Selbstverständlichkeit, mit der nicht zuletzt die äußere Form des Gasteigs von Seiten der Bauherrschaft zur Disposition gestellt wurde. Hartnäckig hat sich in München eine Ablehnung gegenüber dem Haus festgesetzt, die gerade in Anbetracht des aktuellen Hypes um den Brutalismus verwundert. Während anderswo für die Rettung der „Betonmonster“ getrommelt und der Denkmalschutz bemüht wird, mag man in München die architektonischen Qualitäten dieser wuchtigen und trutzigen Kulturbastion aus Ziegeln und Sichtbeton nicht so recht erkennen.

Stolz thront der Kulturbau mit seiner aufregend kristallinen Fensterformation wie ein Fels über dem Isarufer. Doch in seiner schroffen Art scheint er nicht so recht zu den in München mehrheitlich gepflegten Vorstellungen einer zeitgemäßen, repräsentativen und einladenden Architektur ohne Ecken und Kanten zu passen. Dass es städtebauliche und funktionale Mängel gibt, ist unbestritten. Ob dies jedoch rechtfertigt, dass man den Komplex bis auf die Grundstruktur rückbaut, um ihn dann völlig neu wiederauferstehen zu lassen, scheint mehr als fragwürdig. In drei Monaten sollen die Erstplatzierten eine Überarbeitung vorlegen. Dass bis dahin ein Paradigmenwechsel in der Einschätzung des architektonischen Erbes der jüngeren Geschichte stattfindet, wird man wohl nicht hoffen dürfen.


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ein 1. Preis: Wulf Architekten (Stuttgart), club L94 Landschaftsarchitekten (Köln) und theapro | theater projekte daberto + kollegen (München)

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ein 1. Preis: Henn (München) und Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten (München)

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ein 1. Preis: Auer Weber Architekten (München) und grabner huber lipp Landschaftsarchitekten (Freising)

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Erfolgreich genutzt, als Gebäude aber wenig geliebt: Der Gasteig am östlichen Isarufer.

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