Tempelartige Bauten, lichte Wandelhallen, kontemplative Wasserbassins: Bei kaum einer Bauaufgabe verschwimmen die Grenzen zwischen funktionaler Architektur und würdevollem Denkmal so sehr wie bei einem Krematorium. Verlangt der maschinell organisierte Verbrennungsvorgang nach gebauter Transzendenz, um ihm die kalte Härte zu nehmen? Über 130 Büros hatten sich beim internationalen Wettbewerb für das neue Krematorium von Thun beteiligt und die acht prämierten Arbeiten antworten alle auf ihre Weise. Gewonnen hat der junge Züricher Architekt Markus Schietsch in Zusammenarbeit mit Schmid Landschaftsarchitekten, die ebenfalls in Zürich arbeiten.
Das Ergebnis im Überblick:
- 1. Preis: Markus Schietsch Architekten und Schmid Landschaftsarchitekten, beide Zürich
- 2. Preis: Architekten-Kollektiv, Winterthur und Graber Allemann Landschaftsarchitektur, Pfäffikon
- 3. Preis: Barozzi Veiga, Chur und Pascal Heyraud, Neuchâtel
- 4. Preis: Meyer Schmitz-Morkramer und Rico Wasescha, beide Zürich, mit Graf Landschaftsarchitektur, Uerikon
- 5. Preis: Aviolat Chaperon Escobar Architectes, Fribourg und Planetage Marceline Hauri, Zürich
- 6. Preis: Bube, Rotterdam und POLA Landschaftsarchitekten, Berlin
- 1. Ankauf: Felgendreher Olfs Köchling und 100 Landschaftsarchitektur, beide Berlin
- 2. Ankauf: Mauro Turin Architectes und Paysagestion, beide Lausanne
Dem Preisgericht gehörte neben dem Vorsitzenden
Konrad Hädener unter anderem auch
Marco Graber von Graber Pulver Architekten und
Barbara Holzer von Holzer Kobler Architekturen an. Am Siegerentwurf von Markus Schietsch gefiel die „präzise Setzung und seine einfache, aber große architektonische Ausstrahlung.“ Schietschs eingeschossiger Bau sieht über einem quadratischen Grundriss umlaufende Arkaden mit einer doppelten Reihe aus schlanken kegelförmigen Stützen vor. Die Innenräume sind rundum verglast, was für einen gestaffelten Übergang zur Umgebung sorgt. Die technischen Einrichtungen befinden sich – dem Blick der Besucher entzogen – im Zentrum des Gebäudes.
Baukörper mit horizontaler Ausrichtung und außenliegenden Stützen schlagen auch Barozzi Veiga, Felgendreher Olfs Köchling und das Büro Bube vor.
Barozzi Veiga platzieren bei ihrem Entwurf die privaten Andachtsräume im Zentrum der Anlage, was zusammen mit der überaus dunklen Innenraumgestaltung etwas bemüht würdevoll wirkt – spontan könnte man an eine theatrale Inszenierung eines Eingangs zum Jenseits denken.
Ganz anders dagegen das Projekt von
Felgendreher Olfs Köchling, dem das Preisgericht eine Nähe zu römischer Klassik und Renaissance attestiert. Die vorgefertigten halbrunden Dachelemente werden im gesamten Gebäude erfahrbar. Teils kombinieren sie die Architekten mit Lichtöffnungen, was den Entwurf auf gute Weise zwischen Sakralität und Industriebau changieren lässt. Im Wettbewerb erhielt das Projekt übrigens den dritten Rang – aufgrund von absehbaren betrieblichen Mängeln war allerdings trotz großer Begeisterung des Preisgerichts keine bessere Platzierung möglich.
In länglichen Gebäuden organisieren dagegen das Architekten-Kollektiv, die Arbeitsgemeinschaft Meyer Schmitz-Morkramer und Rico Wasescha, Aviolat Chaperon Escobar Architectes und Mauro Turin Architectes das Programm. Das erleichtert zwar die Entkopplung der Funktionen, macht aber einen biederen Eindruck, weil sich die Entwürfe dem Widerspruch der Bauaufgabe – zwischen Trauer und Effizienz – letztlich entziehen. Zumindest geht jedes dieser Projekte aber einen ganz eigenen Weg, was positiv zur Vielfalt der Prämierungen beiträgt.
Mauro Turin Architectes zeigen als einzige einen wirklich landschaftlichen Ansatz, während
Meyer Schmitz-Morkramer und
Rico Wasescha eine interessante städtebauliche Setzung vornehmen. Ihr Entwurf erinnert an die expressive Backsteinarchitektur von Fritz Schumachers Krematorium in Hamburg. Auch das
Architekten-Kollektiv arbeitet mit Backstein – ihr Projekt zeigt sich nach außen geschlossen, öffnet sich aber im Inneren zu einem Hof mit Bassin. Und nur
Aviolat Chaperon Escobar Architectes experimentieren mit einer skulpturalen Formensprache. Sie schließen mit ihren pyramidalen Körpern an jahrtausendealte Begräbnisformen an, was das Preisgericht allerdings an militärische Anlagen erinnerte.
Notwendig wird der Neubau übrigens, weil das bestehende Krematorium an einem anderen Standort mit seiner alten Verbrennungstechnik nicht mehr der Abgasnorm entspricht – die Räumlichkeiten sollen allerdings weiterhin genutzt werden. Der Neubau soll 2020 in Betrieb gehen, für seine Errichtung sind 13 Millionen Euro vorgesehen.
(sb)
Zum Thema:
Früher galten nur Grab- und Denkmalsbauten als echte Baukunst. Zeitgenössische Beispiele in der Baunetzwoche#409: Neue Friedhofsarchitektur
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