Die umfassende Sanierung und Erweiterung der Stuttgarter Staatsoper steht an – jenem klassizistischen Bau am Oberen Schlossgarten, der 1912 nach Plänen des Münchner Architekten Max Littmann errichtet wurde. Internationale Bekanntheit genießt das „Große Haus“ aufgrund mehrerer prestigeträchtiger Kultursparten, die es unter einem Dach vereint: Die Württembergischen Staatstheater (WST), so heißt die Kulturinstitution offiziell, setzt sich aus der Staatsoper Stuttgart, dem Stuttgarter Ballett und dem Schauspiel Stuttgart zusammen.
Doch bevor die WST-Spielstätte in den Dornröschenschlaf versetzt werden kann – ein mit knapp einer Milliarde Euro und zehn Jahren Laufzeit angesetztes Unterfangen – gilt es, die Zwischenzeit zu gestalten. Dazu zählt der Bau einer Interimsspielstätte, deren Standort im Areal C1 rund um die Wagenhallen im Stuttgarter Norden definiert wurde. Die Planung sieht für das Gebiet als Teil des Stadtentwicklungsprojekts Stuttgart Rosenstein das neue Quartier Maker City vor. Mit Büros, Kulturbauten, Werkstätten und Wohnungen soll ein bunt gemischtes Viertel im Umfeld des Nordbahnhofs entstehen. Das Vorhaben gehört zu den offiziellen Projekten der IBA'27 StadtRegion Stuttgart.
Der von der Landeshauptstadt Stuttgart im Herbst 2022 ausgelobte hochbauliche Realisierungswettbewerb fordert für den Interimsstandort der WST mehrere Gebäude, die nach Abschluss der Nutzungsphase „mit wenigen Umbauten in eine hybride Nutzung mit stadtverträglichem Gewerbe, kreativwirtschaftlichen Nutzungen und weiteren Flächen für Kunst- und Kulturschaffende überführt werden“ können. Zum Ensemble sollen eine temporäre, möglicherweise rückbaubare Spielstätte gehören, die das Zuschauerhaus und den Bühnenturm integriert, sowie zwei dauerhafte Baukörper, die weitere Funktionen der WST aufnehmen. Vergangene Woche sind die Ergebnisse des nach VgV- und RPW 2013-Verfahren durchgeführten, einphasigen und nichtoffenen Wettbewerbs bekanntgegeben worden. Aus 20 Beiträgen fiel die Wahl auf Entwürfe folgender Büros:
- Anerkennung: FRES Architectes – Gravier Martin Camara (Paris)
Das 15-köpfige Fachpreisgericht unter Vorsitz von Architekt
Jens Wittfoht überzeugte der Siegerentwurf von
a+r Architekten (Stuttgart) mit
NL Architects (Amsterdam), da er „klar formal und im Konstruktiven zwischen den unterschiedlichen Funktionen und Nutzungen der Aufgabe“ unterscheide. Vorgesehen ist ein reversibler Holzmodulbau für die Hauptspielstätte sowie in Teilen Beton-Massivbauten für die langfristigen Gebäude. Durch den Entwurf erhalte „die Maker-City eine klare Identität nach ihrer Transformation vom Veranstaltungsort zum Stadtquartier“. Insgesamt gelinge es der Arbeit „von Beginn an, ihre zukünftige Metamorphose erlebbar zu machen“, urteilt die Jury. Dennoch sei „das heterogene Erscheinungsbild des Konzeptes im Preisgericht durchaus kontrovers diskutiert“ worden.
Auch die beiden weiteren Platzierungen machen die Haupthaus-Nutzung auf Zeit teils sichtbar. So erinnert beim 2. Preis eine Stahlkonstruktion an Baugerüste und die rostfarbene Metallfassade des 3. Preises an Containerbauten. Hingegen vereint der viertplatzierte Entwurf das Ensemble visuell durch eine weiße Streckmetallfassade.
Mit dem Bau des Vorhabens könnte es 2025 losgehen, so der Plan. Erst zur Spielzeit 2029/2030 würden die ersten Vorstellungen im Interimsstandort an den Wagenhallen anstatt im „Großen Haus“ stattfinden. Die Stadt Stuttgart rechnet für das WST-Ausweichquartier mit Baukosten in Höhe von 224 Millionen Euro.
Es wirkt ganz so, als hätte in Stuttgart diesmal eine transparente und realistische Planung oberste Priorität. Wirft man einen Blick zum süddeutschen Nachbarn München, zeigen sich weit holprigere Kulturbau-Vorhaben. Die
Generalsanierung des Gasteig liegt auf Eis und sprengt den Kostendeckel, weshalb die beliebte Interimsstätte
HP8 samt Isarphilharmonie im reversiblen Modulbau sicherlich auf ein längeres Dasein hoffen kann. Auch
Düsseldorfs sanierungsbedürftiger Opernbestand wackelt und geht in Richtung Neubau. Und schließlich jonglieren auch
Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main mit Sanierung, Neubau oder Interim bei geschätzten Kosten im hohen dreistelligen Bereich. Es bleibt spannend, das Geschehen auf den Bühnen der Republik zu verfolgen.
(sab)
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
1
Karl | 30.06.2023 21:02 Uhr???
Hat das noch etwas mit dem Inhalt Theater zu tun ? Ist das einfach ein Korruptionsmodell ? Wenn die Provisorien und die Sanierungen mehr kosten als das Original, sollte man da nicht lieber ein zeitgenössisches Theater bauen ?
Der Theaterbetrieb beruht auf prekärer Arbeit. Sollten die Schauspieler und Sänger lieber in den Planungsbüros anheuern, die für Milliarden Provisorien inszenieren ?