Weinberge, Gleisanlagen, Gründerzeit-Architektur sowie Bauten aus den Siebzigerjahren bestimmen das Umfeld der „Neuen Weststadt“ in Esslingen bei Stuttgart. Der Rahmenplan für die Konversionsfläche des ehemaligen Güterbahnhofs entstand auf der Grundlage eines Entwurfes von Lehen drei (Stuttgart), der sich 2011 im städtebaulichen Wettbewerb durchgesetzt hatte. In fußläufiger Entfernung zum Bahnhof soll hier ein neuer Hochschul-Campus entstehen. Der hierzu vom Land Baden-Württemberg ausgelobte zweiphasige Planungswettbewerb wurde jetzt entschieden.
Die Hochschule Esslingen verteilt sich derzeit auf die zwei Standorte „Stadtmitte“ und „Flandernstraße“. Letzterer soll aufgelöst werden, nachdem das Land beschlossen hatte, die dortige Anlage aus den Siebzigerjahren nicht zu sanieren. Angesichts dieser Entscheidung könnte man den vom Auslober formulierten Anspruch der „Vorbildfunktion in Bezug auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz“ an den geplanten Neubau hinterfragen. Die 19.462 Quadratmeter Nutzfläche werden komplett in den „Campus Neue Weststadt“ verlegt.
Der Wettbewerb beinhaltete einen Realisierungs- und einen Ideenteil: Im ersten Bauabschnitt werden Aula, Bibliothek, Mensa, Rechenzentrum sowie verschiedene Unterrichts- und Büroräume unterkommen. Ein zweiter Bauabschnitt sollte für eine mögliche Erweiterung der Hochschule durch zusätzliche Studiengänge oder Forschungsprojekte entwickelt werden. Aus den insgesamt zwanzig Teilnehmern, unter ihnen auch gmp (Hamburg) wählte die Jury unter Vorsitz des Stuttgarter Architekten Jörg Aldinger folgende Preisträger, die zwischen 145.000 und 40.000 Euro erhielten:
- 1. Preis: Bär, Stadelmann, Stöcker Architekten, Nürnberg
- 2. Preis: Riehle Assozierte, Stuttgart
- 3. Preis: Gerber Architekten, Dortmund
- 4. Preis: Glaser Architekten, München
- Anerkennung: vielmo architekten, Stuttgart und Kohlbecker Gesamtplan, Gaggenau
Die Jury lobte die Materialität des Siegerentwurfes von
Bär, Stadelmann, Stöcker Architekten: Die „strenge und präzise gegliederte Klinkerfassade verweist auf die industrielle Historie und vermittelt gleichermaßen eine zeitgemäße wie zeitlose Erscheinung der neuen Hochschule“. Die Farbigkeit wurde allerdings als „zu dunkel“ bewertet. Als „im Umfeld selbstverständlich“ bezeichnete die Jury die „städtebauliche Körnung“ und Höhenentwicklung des Ensembles. Positiv hervorgehoben wurde auch der „großzügige Zugang zum Hochschulcampus“, der durch einen Rücksprung der drei unteren Geschosse gebildet wird. Die Zugänge und Öffnungen zum Innenhof seien zudem „richtig gesetzt“ und die Erschließung der „nutzungsintensiven Bereiche wie Mensa, Bibliothek und Aula“ über diesen Hof würden ein „einfaches und klares Wegesystem“ bilden.
Riehle Assoziierte präsentierten ein Ensemble aus drei zueinander versetzten Bausteinen, die sowohl einen „kleinen Campusplatz“ als auch einen „Stadtteilplatz“ definieren. Das Preisgericht lobte die „Stringenz und Effizienz der Erschließung entlang der inneren ‚Magistrale’“ sowie die „raffiniert eingeschobene“ Fahrradgarage unter der Haupterschließung. Der „Habitus der Fassade“, wurde offenbar aufgrund seiner Implikation „schwierige Assoziationen“ kontrovers diskutiert und der Beitrag mit dem 2. Preis bedacht.
Städtebauliche Qualitäten durch die „Polygonalität der Außenräume“ sowie „zukunftsorientierte Lernwelten“ in den großzügigen Erschließungsflächen wurden dem drittplatzierten Entwurf von
Gerber Architekten attestiert. Kritisiert wurde „die offene Erschließung durch die Mensa zur Bibliothek“ sowie die „Rigidität“ der Fassade „über die Länge insbesondere zur Bahn“.
Den 4. Preis erhielten
Glaser Architekten mit einem nahezu rechteckigen Baukörper mit kleinen Lichthöfen, deren Größe allerdings „in Bezug auf den Tageslichtanteil im Erdgeschoss“ kritisiert wurde. Positiv bewertet wurden vor allem die Raumqualitäten des zentralen Foyers sowie der Lernlandschaft unter dem Sheddach im obersten Geschoss. Auch die „Ausformulierung der Gebäudehülle in Analogie zur Industriearchitektur“ gefiel. Eine Anerkennung vergab die Jury an die Arbeitsgemeinschaft
vielmo architekten und
Kohlbecker Gesamtplan deren Entwurf „vor allem im Hinblick auf die städtebauliche Setzung der vier Baukörper positiv bewertet“ wurde.
(dd)
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Andrea Palladio | 28.10.2016 11:29 UhrTraurige Ergebnisse
Manchmal frage ich mich wirklich, ob es da draussen nicht auch noch ein paar ambitionierte Architekten gibt, die etwas anderes entwerfen mögen, als sie ohnehin jeden Tag in der Wettberbe Aktuell sehen. Schlimmer noch als die uninspirierte Fassadengestaltung ist jedoch die städtebauliche Unsensibilität, mit der hier freimütig vorgegangen wird.
Da möchte ich auch remko widersprechen. Der 2. Platz ist städtebaulich sicher sehr viel schlechter als andere Beiträge, definiert er doch gegenüber der Stadtseite eine seltsam ausgefranste Hauskante mit einem gigantischen Vorplatz, der unentschieden zwischen Park und städtischen Raum oszilliert. Wer die Stadt kennt weiss zudem, dass dieser Platz massiv überdimensioniert wäre und keine Aufenthaltsqualität böte. Da helfen auch die hilflos hineingestreuten Baumgruppen wenig.