Die Zeit, in der die Kirche – als Gebäude oder Institution – unser gesellschaftliches Alltagsleben bestimmte, ist vorbei. Spiritualität ist zu einer individuellen Angelegenheit geworden. Besonders evangelische Pfarrer müssen sich gegen die Schrumpfung ihrer Gemeinden behaupten. Pfarrer Ander-Molnàr aus Milseburg bei Fulda hatte ein Idee: in seiner Gemeinde soll eine Radwegekirche entstehen. Ein neues Ausflugsziel, eine „Ladestation nicht nur für E-Bikes, sondern auch für die Seele“, schrieb der 2011 gegründete Förderverein, der den kürzlich entschiedenen Architektenwettbewerb ausgelobt hatte.
Insgesamt zehn Teilnehmer wurden zum Wettbewerb zugelassen, darunter auch drei junge Büros. Eingereicht wurden einige expressive, aber auch traditionell-sakrale Formen. Gewonnen hat eine einfache Freitreppe aus Basaltlava, deren Innenraum darunter sich mit einem gerahmten Blick zur Landschaft öffnet. Die Jury vergab folgende Preise:
Der Siegerentwurf stammt von den Architekten
Sturm und Wartzeck aus dem benachbarten Ort Dipperz. Sie schlagen einen „Pflasterteppich“ vor, der quer über den Radweg verläuft, um die Radfahrer „abzuholen“ und zu den Sitzstufen auf dem Kirchendach zu führen. Neben diesen Sitzstufen führt auch ein Eingang in den Innenraum der Kirche. Der Altar ist vor dem nahezu quadratischen Fenster positioniert, steht also quasi in der Landschaft. Das Fenster mit dem symbolischen Kreuz ist gleichzeitig eine Tür, die sich öffnen lässt, um so den Raum für Open-Air-Gottesdienste zu erweitern. Indem das Konzept die Aufenthaltsmöglichkeiten für rastende Radfahrer als zentrales gestalterisches Element adressiert, fokussiert der Entwurf primär auf die Qualitäten des Gebäudes als Ausflugsziel und vielleicht etwas weniger auf die sakralen Aspekte – auch wenn die Visualisierung des Innenraums immerhin an Tadao Andos Kapellen denken lässt.
Den zweitplatzierten Beitrag der Arbeitsgemeinschaft
SCHÖNBORNSCHMITZ und
Spital-Frenking + Schwarz aus Berlin lobt die Jury als „feinfühlig“. Der gefaltete Holzrahmenbau erfüllt klar die sakrale Typologie und fügt sich durch die Verkleidung aus Holzschindeln in den regional-ländlichen Kontext ein. Damit sah die Jury allerdings die „gewünschte überregionale Zeichenhaftigkeit“ nicht ausreichend erfüllt.
Der von
Ferdinand Heide Architekten aus Frankfurt entworfene „Felsen“ in der Rhönlandschaft bietet zwar einen schönen Ort zur Kontemplation, der als Zeichen in der Landschaft sichtbar ist. Er wurde aber für seine geringe Interaktion mit der Umgebung und der daraus resultierenden, mangelnden Aufenthaltsqualität für rastende Radfahrern kritisiert.
Um wirklich eine „Ladestation für die Seele“ zu werden, fällt der Siegerentwurf in der aktuellen Form möglicherweise zu technisch aus. Die Spiritualität dieser schönen Idee gerät gegenüber den touristischen Qualitäten in den Hintergrund. Regionaltypische Elemente würden außerdem der kontemplativen Wirkung des Ortes in Landschaft gut tun. „Überregionale Zeichenhaftigkeit“ sollte nicht mit örtlicher Beliebigkeit verwechselt werden.
(dd)