Mit 1,3 Millionen Gästen im Jahr ist das Wiener Belvedere das meistbesuchte Kunstmuseum Österreichs, und allen Prognosen zufolge wird sich dieser Andrang noch verstärken. Dabei ist das von 1717 bis 1723 von Johann Lucas von Hildebrandt erbaute Gartenpalais mit dem berühmten Canaletto-Blick Richtung Stephansdom für solche Menschenmassen weder vorgesehen noch ausgerüstet. Von den heutigen logistischen Anforderungen an große Museen – Sicherheitsschleusen, Ticketkontrolle, Barrierefreiheit – war damals nicht die Rede. Von wichtigen Geldquellen wie Museumsshops und Mieteinnahmen durch private Events erst recht nicht.
Ein EU-weiter offener einstufiger Architekturwettbewerb für ein neues Visitor Center sollte Lösungen für diese Probleme finden. Auslober waren die Österreichische Galerie Belvedere und die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG). Das Budget kommt aus einem 100-Millionen-Euro-Gesamtpaket der Bundesregierung, das auch Adaptierungen und Zubauten im Kunsthistorischen und Naturhistorischen Museum inkludiert. Die Summe für das Belvedere ist (inklusive Eigenmittel) mit 35 Millionen Euro festgesetzt.
„Onboarding“, so nennt es der Fachjargon, bedeutet im Grunde, eine räumliche Hülle für eine Warteschlange bereitzustellen. Viele Museen haben in Zeiten des boomenden Kultur- und Städtetourismus damit zu kämpfen, dass diese Hülle für den Massenandrang zu klein ist. In Amsterdam leisteten sich Rijksmuseum und Stedelijk Museum große Zubauten, als Vorbild gilt die 1989 eröffnete Glaspyramide von Ieoh Ming Pei im Innenhof des Louvre.
Beim Belvedere wird die Lösungsfindung nicht einfacher dadurch, dass Schloss und Garten UNESCO-Weltkulturerbe sind. Zudem ist die staatseigene Burghauptmannschaft Österreich, die das Belvedere samt Garten verwaltet, sichtbaren Interventionen deutlich abgeneigt. Bleibt also nur der Untergrund für ein unsichtbares Onboarding.
Das Problem der eng gefassten Ausschreibung: Der einzig zulässige Zugang in das neue Besucherzentrum liegt außerhalb des Gartens, im Souterrain des schmalen Kavalierstrakts an der vielbefahrenen Prinz-Eugen-Straße. So kann das Museum zwar auch außerhalb der Parköffnungszeiten genutzt werden. Allerdings kommen die meisten Besucher*innen von Norden oder Süden in den Park und müssten künftig erst aus diesem wieder hinausdirigiert werden, um dann wieder zurück ins Schloss zu kommen.
Auch müssen sich die prognostizierten 900 Besucher*innen pro Stunde künftig auf einem schmalen Gehweg drängeln, um dann durch einen winzigen Raum ins Tiefgeschoss zu tauchen. Der Aufgang ins eigentliche Obere Belvedere ist nämlich unter dem Südportal des Palais vorgesehen, wo an die bestehende Treppenanlage in die „Sala Terrena“ im Erdgeschoss angedockt werden kann.
Wesentliche Aufgabe im Wettbewerb war daher, die lange Verbindungslinie zwischen beiden Schlupflöchern zu einem räumlichen Erlebnis werden zu lassen. Als zusätzliche Herausforderung waren maximal bodengleiche Verglasungen zur Belichtung von oben erlaubt, um die Gartenanlage nicht zu stören. Im März traf die Jury unter Vorsitz von Roger Riewe ihre Entscheidung, Ende April wurde sie bekanntgegeben:
- 1. Platz: epps Ploder Simon (Graz)
- 2. Platz: ARGE Studio Patrick Pregesbauer und Pietro Maria Romagnoli (Wien/Zürich)
- 3. Platz: ARGE Tobias Weske und Katharina Rabanser (Wien)
Der Siegerentwurf von
epps aus Graz bleibt innerhalb des Regelwerks und schlägt eine klare, übersichtliche Raumfolge vor. Über drei Ebenen wird sich langsam in die Tiefe bewegt. Die Materialität beschränkt sich auf Sichtbeton und Eiche. „Wir verfolgen nicht das Spektakuläre, nach Aufmerksamkeit strebende, oder den formalen Kontrast, es geht vielmehr um eine Zugehörigkeit des ‚Neuen‘, ohne auf das Zeitgenössische zu verzichten“, so
Petra Simon von epps.
Auch die weiteren Preisträger übten sich weitgehend in Zurückhaltung.
Studio Patrick Pregesbauer und
Pietro Maria Romagnoli (2. Rang) setzten eine lange Diagonale als Leitlinie in den sich perspektivisch aufweitenden Untergrund. Als Raumabschluss dient eine große Spiegelwand, die die Besucher*innen nach links ins Belvedere lenkt – übrigens nicht der einzige Spiegel unter den 82 Entwürfen. Der kombinierte Zugang zu
Visitor Center und Gastronomie war der Jury jedoch zu eng.
Tobias Weske und
Katharina Rabanser (3. Rang) kombinierten eine Lichtdecke mit einer „archäologischen Promenade“. Wenngleich das Anerkennung bei der Jury fand, bemängelte sie die nicht ausreichende Entflechtung von Besucherströmen und Anlieferung. Anerkennungen gingen an
LAM Architektur (Graz),
WGA (Wien) sowie
Winkler + Ruck Architekten mit
Maximilian Keil (Klagenfurt).
Unter den nicht ausgezeichneten Entwürfen fand sich eine weit größere Bandbreite von Ideen, die weniger zurückhaltend agierten und auch Teile der Ausschreibung hinterfragten. Manche verliehen dem Tiefgeschoss mit Kuppeln und Gewölben etwas Höhlenartiges, andere näherten sich aus unterschiedlichen Richtungen dem Barock an.
PPAG Architects (Wien) taten beides, ihre Säulenhalle aus plastisch-rohen Bohrpfählen transportierte zudem den Anspruch, die Ressourcenverschwendung auch bei Kulturbauten zu minimieren.
Wieder andere akzeptierten das enge Zugang-Durchgang-Korsett nicht und legten den Zugang in teils riesigen Foyers selbstbewusst in den Garten und in die barocke Symmetrie-Achse des Gesamtkunstwerks Belvedere. Unter diesen waren
Malek Herbst Architekten (Wien) am konsequentesten in Sachen geschichtsbewusstem und detailliertem Weiterdenken des Bestands.
Andreas Vass (Wien) fand eine komplett andere Lösung: Er legte den Zugang ins Erdgeschoss an der Schmalseite des Oberen Belvedere, und von dort durch bisher wenig genutzte Räume des Bestands Richtung Ausstellung. Keiner dieser Vorschläge wurde von der Jury mit einer Anerkennung bedacht.
In der ansonsten so kulturaffinen Wiener Öffentlichkeit wurde der Wettbewerb erstaunlich wenig beachtet, ebenso wie das derzeit laufende Onboarding-Verfahren des Kunsthistorischen Museums. Der Baubeginn am Belvedere ist nach der Entscheidung der Jury in der ersten Jahreshälfte für 2026 geplant, die Fertigstellung für 2028.
Text: Maik Novotny
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Arcseyler | 29.10.2024 17:37 Uhr.de
Eine blasse Bahnhofshalle wird weder dem Barock, noch wiener Architekturansprüchen gerecht. Ein kräftiges horizontal gelagertes Betonrustika etwa weckt mehr Erwartungen.