Die Gegend rund um die Warschauer Straße in Friedrichshain-Kreuzberg gehört zu den Teilen Berlins, wo der Wandel der Hauptstadt am deutlichsten spürbar wird. Dazu zählt auch das Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks (RAW), das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand. Verglichen mit den Entwicklungen zwischen Warschauer Brücke und Ostbahnhof, wo die East Side Mall sowie die frühere O2 World und jetzige Mercedes-Benz Arena in wenigen Jahren eine völlig neue Stadtsilhouette geformt haben, geht die Transformation auf dem RAW-Gelände jedoch in wesentlich angenehmerem Tempo und im Dialog mit den Nutzer*innen sowie dem Bezirksamt vonstatten. Nachdem in dem mehrjährigen Beteiligungs- und Dialogverfahren RAW 2040 ein Strukturplan für das rund fünf Hektar große Areal entwickelt wurde, führte man nun ein dreistufiges, konkurrierendes Werkstattverfahren durch, an dem vier Büroteams teilnahmen.
Das Gremium, bestehend aus Vertreter*innen der Eigentümerin Göttinger Kurth Gruppe und des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg sowie freien Architekt*innen und Stadtplaner*innen, entschied sich Anfang April dieses Jahres einstimmig für das Konzept des Büros Holzer Kobler Architekturen (Zürich/Berlin), die für ihren Entwurf mit Atelier Loidl Landschaftsarchitekten (Berlin) zusammenarbeiteten. Nach zwei Werkstattterminen und zwei Öffentlichkeitsveranstaltungen hatte sich das Team gegen die Büros Astoc Architects and Planners (Köln) mit Treibhaus Landschaftsarchitektur (Berlin/Hamburg), Ortner & Ortner Baukunst (Berlin) mit Capattistaubach urbane landschaften (Berlin) sowie MVRDV (Rotterdam/Berlin) mit COBE Berlin und Grieger Harzer Landschaftsarchitekten (Berlin) durchsetzen können. Der Entwurf des Gewinnerteams wurde noch einmal überarbeitet und Mitte Mai der Öffentlichkeit präsentiert.
Von Clubs, Restaurants und Biergärten über Kletter- und Skatehalle bis hin zum Flohmarkt findet man bis dato die unterschiedlichsten Nutzungen auf dem RAW-Gelände. An so manchem Abend und am Wochenende ist es hier zwar überaus belebt, tagsüber jedoch schleichen nur hier und da ein paar Kletterer und Touristengruppen über das Gelände. Denn noch immer kennzeichnen große Brachen, versiegelte Freiflächen und baufällige, nicht nutzbare Gebäude das Areal. Wesentliches Ziel war es deshalb, nicht nur den besonderen Charakter des Ortes zu bewahren, sondern auch entsprechend nachzuverdichten. Im Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan heißt es dazu, man wolle die „historisch gewachsene, berlintypische Gemengelage“ erhalten und durch eine „lebendige Mischung aus kerngebietstypischen Nutzungen“ ergänzen. Das sogenannte Soziokulturelle L, das seinen Namen den L-förmig angeordneten Gebäuden verdankt, bleibt somit bestehen, und es wurde festgehalten, dass die Flächen hier 30 Jahre lang zum Nulltarif genutzt werden können, lediglich Betriebskosten müssen übernommen werden.
Neben vielfältigen Zwischenräumen sieht der Entwurf des Teams Holzer Kobler mit Atelier Loidl ein hundert Meter hohes Bürogebäude vor. Der Hochpunkt soll ein Pendant zu dem umstrittenen, derzeit im Bau befindlichen Edge Eastside Tower, der künftig von Amazon bezogen wird, und dem 16-geschossigen Narva-Turm in der Oberbaum City bilden. Die (Landschafts-)Architekt*innen gliedern das Gesamtareal in einzelne Bereiche, die Bauten und Freiräume mit unterschiedlichen Maßstäben und Qualitäten besitzen und sich zu einem heterogenen Gesamtensemble verbinden. So entstehe eine offene, durchlässige und verbindende Ebene, eine Abfolge von Plätzen, Promenaden und Gärten, erläutert Barbara Holzer von Holzer Kobler Architekturen. Florian Schmidt, Bezirksstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, lobte die Ausbildung der öffentlich nutzbaren Orte, der Durchwegungen und Platzausbildungen. Vor allem habe man auch für die schwierige Aufgabe der Integration des Hochhauses eine verträgliche und ansprechende Lösung gefunden, so der Bezirksstadtrat.
Der endgültige Bebauungsplan soll bis Ende 2023 fertig sein. Es soll etappenweise geplant werden, damit eine langsame, organische Entwicklung ermöglicht wird – womit man auch ein Stück weit an die Geschichte des Areals anzuknüpfen versucht. (dsm)
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KarstenS | 15.06.2022 13:16 Uhrwenn das
..hochqualitativ ausgeführt wird könnte das ein tolles Quartier werden.
Ja gut ein Hochhaus gibt es - der globale Hochhauswahn bleibt weiter aus, das ist gut.
Ob der Dachjungle wirklich gebaut wird, das glaube ich kaum.