Pittoresk liegt das Ensemble der Neckarspinnerei in Wendlingen-Unterboihingen direkt am Ufer des namensgebenden Flusses. Man sieht es den schönen, denkmalgeschützten Ziegelbauten nicht unbedingt auf den ersten Blick an, doch bis 2020 wurde hier noch Garn produziert. Zukünftig soll auf dem 4,7 Hektar großen Areal – wo seit 1861 produziert, aber auch gewohnt wird – ein mischgenutztes Quartier entstehen. Vorgestern wurde der Gewinner des städtebaulichen Werkstattverfahrens mit hochbaulichem Ideenteil bekanntgegeben, das die Heinrich-Otto und Söhne (HOS) Projektentwicklung GmbH zusammen mit der Internationalen Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart (IBA’27) und der Stadt Wendlingen durchführte.
Die HOS-Gruppe produziert seit 1816 und in siebter Generation Textilien im süddeutschen Raum. Seit einiger Zeit entwickelt sie einige ihrer ehemaligen Industrieareale. Beispielsweise entsteht direkt am Bahnhof von Wendlingen das Otto-Quartier, das 2020 eines der ersten offiziellen IBA’27-Projekte war. Nachdem die HOS-Gruppe einen Großteil des zehn Hektar umfassenden Areals an die CG Elementum AG veräußert hatte, diese wiederum ein 1,7 Hektar großes Teilareal an den Investor Isaria weiterverkauft hatte und ein Bebauungsplan aufgestellt worden war, trennten sich Entwickler und IBA im letzten Dezember einvernehmlich. Die CG Elementum setze statt IBA lieber auf „zügige Prozesse“ und „effiziente Abläufe“, ließ sie damals verlauten.
Während am Bahnhof Wendlingen also ein ehemaliger Produktionsstandort eher konventionell entwickelt wird, arbeiten HOS-Gruppe und IBA auf dem schmucken Areal der Neckarspinnerei im Stadtteil Unterboihingen weiterhin an einem ambitionierten Projekt, das sich die Idee der „produktiven Stadt“ auf die Fahnen geschrieben hat und Nutzungsmischung nicht nur innerhalb des Geländes, sondern auch in den einzelnen Bauten realisieren möchte.
Im nun abgeschlossenen, zweistufigen und vom Stuttgarter Büro ORplan betreuten Werkstattverfahren konnten sich Rustler Schriever Architekten (Berlin) mit gornik denkel Landschaftsarchitekten (Heidelberg) gegen sieben Mitbewerber durchsetzen. Das Verfahren wurde als vergütete Mehrfachbeauftragung mit Auftragszusage zur Ausarbeitung des städtebaulichen Entwurfs durchgeführt.
Fachpreisrichter*innen im Preisgericht waren die Architektinnen Anne-Julchen Bernhardt (BeL), Vera Gloor und Stefanie Weidner (Werner Sobek AG), die Landschaftsarchitektin Sabine Wolf (Thiesen & Wolf) sowie IBA’27-Intendant Andreas Hofer. Markus Schaefer (Hosoya Schaefer Architects) fungierte als Vorsitzender der Jury, die insgesamt drei Preise vergab:
- 1. Preis: Rustler Schriever Architekten (Berlin) mit gornik denkel Landschaftsarchitekten (Heidelberg)
- 2. Preis: JOTT Architekten (Frankfurt am Main) mit urbanegestalt (Köln)
- 3. Preis: Bankwitz Architekten (Kirchheim unter Teck) mit Wiederkehr Landschaftsarchitekten (Nürtingen)
Über den 1. Preis schreiben IBA und HOS-Gruppe: „Der Siegerentwurf verzahnt Wohnen, Arbeiten und Produktion eng. Die Mischung von Funktionen gelingt nicht nur auf das ganze Areal gesehen, sondern auch in den einzelnen Gebäuden. In den Erdgeschossen und im ersten Obergeschoss der Neubauten wird gearbeitet und produziert, darüber gewohnt. Die Erdgeschosse und die Erschließungskerne sind in massiver Bauweise aus Beton geplant. Dies ermöglicht große stützenfreie Spannweiten und die flexible Anpassung an verschiedene Nutzungen. Die Wohngeschosse sind leichte, ressourceneffiziente Holzkonstruktionen. Die Anordnung der Baukörper, das Erschließungssystem und ein Rücksprung der Obergeschosse stellen sicher, dass das Wohnen vom Lärm der umliegenden Verkehrsbauten und dem Gewerbe geschützt ist.“
Projektiert ist laut IBA eine Bruttogrundfläche von 50.000 Quadratmetern auf dem Gesamtgrundstück, davon 26.550 Quadratmeter in Neubauten. Der Wohnanteil soll bei 23 Prozent liegen, Gewerbe (störend und nichtstörend) bei 59 Prozent, Sonstiges inklusive Autostellplätzen bei 18 Prozent. Laut Wendlingens Bürgermeister
Steffen Weigel (SPD) soll das Bauprojekt „so nahtlos wie möglich in die Umsetzung kommen“
. (gh)
BauNetz ist Medienpartner der IBA’27.
Zum Thema:
www.neckarspinnerei-quartier.de
Weitere Projekte der IBA’27 sind etwa das Postareal in Böblingen, ein neues Stadtquartier in Winnenden, das 17 Hektar umfassende Quartier Backnang-West entlang der Murr sowie die Weiterentwicklung der berühmten Weißenhofsiedlung in Stuttgart aus dem Jahr 1927. Zehn Jahre läuft die IBA’27, vor einem Jahr feierte sie Halbzeit.
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