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27.06.2023
Nachverdichten im Erzgebirge
Werkshalle von Atelier ST für die Manufaktur Mühle
Auf der grünen Wiese hätten sie es einfacher haben können. Doch die Geschäftsführer der Rasierwarenmanufaktur Mühle, die Brüder Andreas und Christian Müller, entschieden sich vor rund 15 Jahren dafür, den historischen Firmenstandort weiterzuentwickeln. Frisch eingeweiht wurde nun eine Werkshalle von Atelier ST.
Von Jasmin Jouhar
In der Gemeinde Stützengrün im Erzgebirge fühlen sich Andreas und Christian Müller verwurzelt. 1945 hatte der Großvater den Betrieb gegründet, der 1972 zwangsweise verstaatlicht und nach der Wende reprivatisiert wurde. Am Rand des Ortsteils Hundshübel gelegen, mit Blick über die malerischen Hügel des Erzgebirges, ist das Werksgelände allerdings ziemlich beengt: Produktionshallen und Bürogebäude sind U-förmig um einen schmalen, langen Hof angeordnet. Die angrenzenden Einfamilienhaus-Grundstücke und die Hanglage lassen wenig Raum für Expansion. Um mehr Platz für die Produktion von klassischen Rasierhobeln und -pinseln zu schaffen, musste also nachverdichtet werden – mit einer neuen, größeren Werkshalle anstelle eines eingeschossigen, barackenartigen Altbaus. Den Auftrag vergaben die Geschäftsführer direkt an Atelier ST aus Leipzig. Die Architekt*innen Silvia Schellenberg-Thaut und Sebastian Thaut hatten vor über zehn Jahren ganz in der Nähe in Eibenstock ein Wirtschaftsgebäude für den Forstbezirk errichtet und damit erstmals das Interesse der Müllers geweckt.
Die neue Werkshalle 4 reiht sich ein in das gewachsene Ensemble der Mühle-Manufaktur. Gegenüber des Bürogebäudes mit dem Haupteingang findet sie zwischen zwei älteren Produktionsbauten ihren Standort. Dort behauptet sie sich mit ihrer glatten Glas-Aluminium-Fassade als zeitgenössische Ergänzung und setzt sich vom benachbarten Betonfertigteil-Bau ab. Trotz des begrenzten Platzes schoben Atelier ST die Ergänzung gegenüber dem Vorgänger knapp einen Meter nach hinten Richtung Hang. Dabei nutzten sie die Fläche zum Nachbargrundstück so weit wie möglich aus, indem sie das neue Volumen teilweise eingruben. Vorne springt die Halle deshalb leicht zurück und verschafft so der engen Hofsituation etwas Luft. Gleichzeitig verdoppelten Atelier ST die Höhe des Ersatzbaus, so dass er über die anderen Gebäude hinausragt. Letzteres ist eine Konsequenz aus der Vorgabe, rund fünf Meter hohe Lagerregale unterzubringen. „Es war ein Austarieren“, sagte Sebastian Thaut beim Rundgang über das Werksgelände vergangene Woche. „Wir wollten die Qualität des Außenraums verbessern.“ Die kühle, spiegelnde Erscheinung der Fassade ist dabei gewollt: „Sie soll das Präzise, Elegante zeigen, das die Produkte von Mühle ausmacht“, so Thaut. „Architektur ist Markenbildung.“
Hinter der technischen Fassade verbirgt sich ein reiner Holzbau. Lediglich die Bodenplatte, die Stützwand zum Hang und die umlaufenden Frostschürzen sind aus Beton. Darauf steht eine vorgefertigte Primärkonstruktion mit Stützen und Trägern aus Brettschichtholz. Decke und Dach sind aus Brettsperrholz-Elementen konstruiert, mit einer Einblasdämmung aus Holzwolle. Die Innenwände der Halle erhielten eine Verkleidung mit Holzlamellen. Eine in die offene Halle eingestellte, zweigeschossige Box mit Büro und Besprechungsraum ist ebenfalls komplett als Holzbau konzipiert. Das beim Bau verwendete Fichtenholz stammt ausschließlich von Bäumen aus der Region, Tragwerk und Innenausbau führte eine lokale Zimmerei aus. Die Oberflächen sind lediglich mit einer Schutzlasur versehen und ansonsten unbehandelt. So ergibt sich eine für eine Werkshalle ungewöhnlich warme Raumwirkung. Die große Fensterfront lässt zudem viel Tageslicht hinein. „Es ist ein Überraschungsmoment“, sagte Sebastian Thaut. „Wenn man die Halle betritt, denkt man, es geht so industriell-clean wie außen weiter. Niemand erwartet, sich in einem hölzernen Kokon wiederzufinden.“ Der Anspruch sei gewesen, eine schöne Produktionshalle zu realisieren. „Aber keine Diva!“
In der rund 400 Quadratmeter großen Halle lässt Mühle seine Produkte sortieren und verpacken, bevor sie im angrenzenden Gebäude versandfertig gemacht werden. Mit dem Neubau konnte auch die Verbindung der einzelnen Abteilungen und damit der Arbeitsablauf verbessert werden. Beheizt wird das Gebäude nicht, wie ursprünglich geplant, mit Gas, sondern mit Geothermie – die explodierenden Kosten im Zuge des Kriegs in der Ukraine ließen die Geschäftsführer umdenken. Man ist stolz darauf, erneuerbare Energie zu nutzen, die Erdwärme-Pumpe ist gut sichtbar in der Halle installiert. Auf dem Dach produzieren Photovoltaik-Paneele Strom, die übrige Fläche ist begrünt. Eine Reminiszenz an die Geschichte gibt es in dem Neubau aber doch: Unter der Decke hängt eine schwarze Fabrikuhr mit weißen Ziffernblättern. Die haben die Geschäftsführer extra für die Halle aus zwei DDR-Wanduhren zusammenbauen lassen.
Fotos: Simon Menges
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