Ob er nun in einem frühen Spielfilm seine Hauptfigur ganz beiläufig – und durchaus mit erotischem Impetus – den Kölner Dom mit einem großen Arsch vergleichen lässt. Oder ob er für eine ganze Reihe von „Hardcore-Dokumentationen“ modernistische Bauten aufsucht, darunter welche von Rudolf Schindler, Oscar Niemeyer oder jüngst Arno Brandlhuber: In der Arbeit des 1948 bei Bremen geborenen Filmemachers Heinz Emigholz ist Architektur ein alles durchdringendes Motiv. In seinem komplexen und ästhetisch radikalen Werk ist Architektur nicht nur Sujet, sie ist Psychologie, Denken und Konzept. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt widmet Heinz Emigholz und seinem bestenfalls als Anti-Genre beschreibbaren über 100 Filme umfassenden Oeuvre ab heute, 14. Oktober 2021, eine eigene Werkschau. Zwei Filme seien hier vorab vorgestellt.
„Der Zynische Körper“
Dieser Spielfilm des damals 43-jährigen Regisseurs ist schräg, und zwar in einer Emigholz'schen Konsequenz. Das beginnt mit der schiefen Kamerahaltung, bei der sich ein Großteil des Geschehens leicht in der Diagonalen abspielt. Im Script verschieben sich zudem Raum- und Zeitebenen, mal sind sie in Farbe, mal in Schwarz-Weiß. Vor allem ist die Handlung dieses antibürgerlichen, queer-bohemischen Films jenseits klassischer Spielfilmkonventionen: Für eine Gruppe von Künstler*innen wird das Sterben eines Freundes zur Konfrontation mit dem Körper, mit dem eigenen endlichen und dem auf Ewigkeit gemachten architektonischen. Während die Freunde durch die Notizbücher des verstorbenen Lektors Roy blättern, rekonstruieren sie ihre gemeinsame Vergangenheit: der Schriftsteller Carl, seine Mitbewohnerin, die Photographin Liza, der Architekt Jon, für den Liza photographiert, der Zeichner Fred, mit dem Carl Situationen seines Romans durchspielt, und die Übersetzerin Bela, die Freud'sche Versprecher sammelt (ihre beste Übersetzung des Freudian slip: „Freud'scher Schlüpfer“ ). Schließlich mengen sich unter die in Hamburger Hafenanlagen, zwielichtigen Bars und schwer möblierten Schlafzimmern herumhängenden Freunde echte und fiktive, lebende und sterbende Charaktere. Ein Film über schweres Atmen, der Fluch der Kreativität, Totenmasken und dem himmlischen Paradies vor Ricardo Bofills Noisy-le-Grand.
Der Zynische Körper
Deutschland, 1991
89 Minuten, Deutsch
DVD und VoD bei: Filmgalerie 451
Vorführung im HKW: 17./22./28. Oktober und weitere Termine bis Januar 2022, jeweils 12.15Uhr
„The Airstrip“
Erst ein philosophischer Text über die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, dann ein Tripp zu den Werken der Moderne auf dem gesamten Globus, wie das Einkaufscenter Mercado de Abasto von Viktor Sulčič in Buenos Aires oder die Jahrunderthalle von Max Berg in Breslau. Wieder zurück nach Berlin – und ins „Bodenlose“: Auf seiner Reise durch die gebaute Moderne erzählt Heinz Emigholz die Geschichte dieser Bauten im Kontext der Kriege des 20. Jahrhunderts. Sein analytisch-präziser, dennoch erbitterter Kommentar begleitet die Abfolge der Bilder und setzt die verschiedenen Gebäude in einen Sinnzusammenhang. Das „Bodenlose“ steht dabei für einen fortlaufenden Kreislauf zwischen Zerstörung und Neuanfang. Mit diesem dokumentarischen Essay schließt Emigholz an die bildästhetische Tradition seiner früheren monografischen Architekturfilme an, doch sorgt er zugleich mit ungewöhnlichen Motiven für einen Bruch seines eigenen filmischen Stils: Wenn plötzlich animierte Fleischstücke zur Musik der Düsseldorfer Avantgarde-Band Kreidler (der Emigholz übrigens mit „2+2=22“ einen eigenen Film widmete) durch eine Flughafenhalle fliegen, dann sorgt dies für Irritationen – und für Ironie.
The Airstrip
Heinz Emigholz
Deutschland 2014
108 Minuten, Deutsch
DVD und VoD bei: Filmgalerie 451
Vorführung im HKW: Samstag, 16. Oktober, 13.00 Uhr
Mit anschließender Paneldiskussion mit Heinz Emigholz, Anselm Franke und Ines Weizman
Counter Gravity – Die Filme von Heinz Emigholz
Eröffnung: Donnerstag, 14. Oktober, 19:30 Uhr
Eröffnungsprogramm: Freitag, 15. Oktober, bis Sonntag, 17. Oktober
Werkschau: 15. Oktober 2021 bis 3. Januar 2022
Ort: HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin
Die Eröffnungsveranstaltung ist kostenfrei, für die übrigen Veranstaltungen müssen Besucher*innen Tickets erwerben. An Montagen ist der Besuch ebenfalls kostenfrei.
Filmauswahl und Texte: Maximilian Hinz und Sophie Jung
Zum Thema:
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