Von Karin Leydecker
In den Städten wird es eng und bezahlbarer Wohnraum knapp. Der konventionelle Wohnungsbau setzt deshalb auf gewinnmaximierte Verdichtung Marke „Hasenkasten“: Masse statt Klasse! Das Gegenmodell ist das qualitätsvolle Bauen und Wohnen in der Gemeinschaft, das auf die rasant veränderten Lebensformen und speziellen Bedürfnisse der Menschen reagiert. Wohnungssuchende mit ähnlichen Interessen und Lebenseinstellungen tun sich zusammen und planen individuelle Wohnungen unter einem Dach, mit Gemeinschaftsräumen, einem Garten für alle und manchmal sogar mit einer gemeinsamen Kantine. Die Herausforderung für Baukünstler!
Das Architekturmuseum der TU München zeigt an zwölf aktuellen Projekten aus ganz Europa die individuellen Facetten kooperativen Wohnens. „Wir haben uns stark auf die inhaltliche Zielsetzung der Wohnprojekte konzentriert, auf Initiative und Motivation, die den Ausgangspunkt für die Gründung der Genossenschaften und Vereine bildete“, erläutert Kuratorin Hilde Strobl das Konzept. In Form von Steckbriefen erläutert das „ABC der Partizipation“ jeweils die unterschiedlichen Entstehungsprozesse, die Finanzierungskonzepte, die bauliche Umsetzung, Verwaltungsstrukturen und die Formen des Zusammenlebens zum jeweiligen Projekt.
Interviews mit Bewohnern und Filmdokumente zeigen die konkrete Realität des Wohnens in diesen zwölf Projekten und geben Anregungen für zukunftsrelevante Planungen. Bei allen Beispielen – sie reichen vom basisdemokratischen Wohnmodell in Wien, Krakauerstraße (einszueins Architektur, 2013), dem gemeinschaftlich orientierten „FrauenWohnen“ in München Riem (Zwischenräume Architekten, 2007), der gelebten Utopie einer Quartiervernetzung durch Kunst „wagnisArt“ in München (Arge bogevischs buero, 2016) bis hin zum umfassenden Zürcher Stadtquartier „Kalkbreite“ (Müller Sigrist Architekten, 2014) – lautet das große Motto: „Keine Angst vor Partizipation“. Wer hier wohnt, der teilt freiwillig und gerne – Leben und Lebensraum.
Neu ist diese gemeinschaftliche Wohnform nicht, denn schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts gab es Konzepte des Teilens. Robert Owens „Industrial Village“ in Schottland (1818) gilt als „Urzelle gemeinschaftlichen Wohnens“. Bezeichnend ist, dass diese Konzepte immer in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und sozialer Umbrüche entstanden. Die aktuelle Renaissance ist Ausdruck für den existentiellen Wunsch, aus der Anonymität auszubrechen und näher zusammenzurücken, denn „zusammen ist man weniger allein.“ Die große Utopie von sozialer Harmonie im Kleinen spielt eine Rolle und natürlich auch die Hoffnung auf Hilfe im Alter.
Prominent vertreten in der Ausstellung sind Projekte aus Großstädten mit explodierenden Immobilienpreisen: München natürlich und auch Berlin. Dort feiern die „Baupiloten“ (2014) mit der Studentenwohnanlage Siegmunds Hof die „Ökopop“- Utopie für urbane Gartenfreunde und in Kreuzberg (carpaneto schöningh architekten, 2014) locken spartanische „Wohnoptionen“ mit Badespaß am „grünen Strand der Spree“. Ideal für viele, aber eben nicht für jeden.
Die Ausstellung „Keine Angst vor Partizipation! – Wohnen heute“ ist noch bis zum 12. Juni 2016 im Architekturmuseum der TU München zu sehen. Zur Ausstellung erscheint „Das kleine ABC des gemeinsamen Bauens und Wohnens“ im Hatje Cantz Verlag.
www.pinakothek.de
Zum Thema:
Mehr Geschichten aus der Kooperative in der Baunetzwoche#441 „Wohnvarianten in Relation“
Auf Karte zeigen:
Google Maps