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31.08.2012

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Schöne Aussichten!

Warum der deutsche Pavillon gut ist


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Eine riesige Lärche steht vor dem Wohnhaus im Klostergarten Lehel, dahinter eine Baumhasel. Dionys Ottl lacht, als er vorbeigeht: „Unser schönes Gebäude versteckt sich ja hinter einem Baum!“ Der Architekt geht einen Schritt zurück und betrachtet das großformatige Bild, das wie eine Fototapete vom Boden über die Sockelleiste weit bis über die Türzarge reicht. Er nickt. „Schon ungewohnt, aber es ist gut – ja, ein gutes Bild, gefällt mir!“ Fast könnte man meinen, hinter den Baum laufen zu können, um den Umbau im Klostergarten aus der Nähe zu betrachten, so groß und so stark ist das Foto.

Der Münchner Umbau von Hild und K ist eines von insgesamt 16 Projekten zum Thema „Reduce Reuse Recycling“, die im deutschen Pavillon zu sehen sind. Den Baum kann man dabei fast als Symbol sehen, als Bild für etwas Beständiges, für den Umgang mit dem Vorhandenen in der Architektur. Und tatsächlich: Die Baumhasel im Hintergrund ist eine der größten in Deutschland und musste bei dem Umbau besonders geschützt werden.

Erinnern wir uns an die Pressekonferenz im Mai, als das Team von Muck Petzet den diesjährigen Beitrag für den deutschen Pavillon vorgestellt hat und auf Kritik und Unverständnis stieß. Wo denn die Architektur in dieser Ausstellung zu finden sei, riefen Fachpresse und Feuilleton über den Tisch. Man könne nicht nur Fotos zeigen und schon gar nicht solche, hieß es da. Man kann. Die Bilder der Fotografin Erica Overmeer sind schlichtweg überragend. Sie irritieren, zeigen einen anderen Blick und die Projekte aus einem unbekannten Winkel, nicht als Objekte. Overmeer überzeugt mit einer unverschönten Alltagsästhetik zwischen Dokumentation und Melancholie. Die Architektur findet man dazwischen – oder eben im Hintergrund.

Weniger ist mehr: Der deutsche Pavillon auf der diesjährigen Biennale ist eine Inszenierung des Wenigen, des Reduzierten. Die Handschrift, außer die der Fotografin, ist auf den ersten Blick nicht zu entdecken. Wo ist Petzet, wo ist Grcic, mag man sich fragen. Dass man sie nicht sieht, basiert auf dem Umdenken der Gestalter und ist die eigentliche Stärke der Inszenierung. Keine Modelle, keine Zeichnungen und kein Spektakel, sondern ein kluges Konzept, sympathisch und mit bescheidenen Mitteln – die Gestaltung passt sich ganz dem Thema an. Die Besucher betreten den Pavillon über den Seiteneingang und kommen in einen hellen, unaufgeregten Raum. So haben wir den deutschen Pavillon schon lange nicht mehr gesehen! Keine Einteilung in Haupt- und Nebenräume, sondern ein Kontinuum aus fünf gleichwertigen Ausstellungsräumen, die durch Stege und die Anordnung der Fotos geschickt miteinander verwoben sind. Durchblicke und Ausblicke überlagern sich und werden zu einer Raumcollage. Die von der Stadt Venedig ausgeliehenen Hochwasserstege führen aus dem Nichts direkt in die Fotografien von Overmeer, die Fotos verschmelzen mit dem Boden. Und außen wird der eigentliche Eingangsbereich durch die aufgestellten Bänke federleicht in eine öffentliche Bühne verwandelt, ja in einen „Common Ground“.

Zur 13. Architekturbiennale ist der deutsche Pavillon so gut wie nackt und wird dadurch seit langem überhaupt erst richtig wahrnehmbar. Das kann auch zu Überraschungen führen, zum Beispiel, wenn wir in der Mittagssonne sehen, dass das Licht in den Nebenräumen ja um Längen besser ist als im sonst so betonten Hauptraum. Man sieht im deutschen Pavillon neben den Projekten vor allem auch das Gebäude selbst – ganz ähnlich wie Miroslav Šik den Schweizer Pavillon zeigt. Muck Petzet geht es in seiner Biennale um die Arbeit mit und um ein Bewusstsein für den Bestand – egal wie historisch aufgeladen oder unbedeutend dieser ist. Selten, man könnte auch sagen noch nie, hat dieser Raum so gut funktioniert. Petzet zeigt sich zurückhaltend und gerade deswegen mutig – das komplette Gegenstück zu Schlingensiefs irrsinniger Inszenierung von letztem Jahr, die durch ihr extremes und opulentes Konzept ebenfalls aufgegangen ist. Radikal voll oder radikal leer scheinen also die zwei Wege zu sein, diesen Bau erfolgreich zu bespielen.

„Reduce Reuse Recycle“ präsentiert sich als eine Architekturausstellung ohne „Architektur“, dafür mit Konzept und einer präzisen Aussage. Gerade deswegen ist sie nicht nur für Architekten, sondern für alle lesbar – was auf den Architekturbiennalen nicht unbedingt üblich ist. Denjenigen, die im deutschen Pavillon das „Mehr“ vermissen, sei der Katalog wärmstens empfohlen. Er ist ein Glanzstück an Rechercheleistung und überrascht mit großartigen Interviews. Als gleichwertige Ergänzung zur Ausstellung bietet er mehr Informationen zu allen gezeigten Projekten und zu weiteren. Gerade das ist überhaupt die beste Nachricht: Der Pavillon zeigt nur eine Auswahl – es gibt noch eine ganze Reihe anderer Projekte, die auch „reduce reuse recycle“ sind!

Man könnte also feststellen, dass Muck Petzet alles richtig gemacht hat. Dafür wird man in der Regel ausgezeichnet.

Jeanette Kunsmann, Jürgen Paul

BauNetz hat als Medienpartner den Deutschen Beitrag begleitet und in einer Kolumne Gäste zum Thema „Reduce Reuse Recycle“ zu Worte kommen lassen. Alles Weitere zur Architekturbiennale in unserem Venedig-Special


Video:



Zum Thema:

Unsere Berichte von der Biennale: www.baunetz.de/biennale
Vorschau:
Unsere Baunetzwoche zur 13. Architekturbiennale erscheint nächsten Freitag


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

6

biennalefan | 05.09.2012 09:21 Uhr

verrätselt

Am Ende war's mir doch zu verrätselt, zu selbstverliebt. Ausstellungen dürfen ruhig auch von sich aus funktionieren, da ist Minimalismus und Ästhetik eben zu wenig. Insgesamt aber ein guter Beitrag, konnte in den Giardini nichts wirklich Besseres entdecken.

No Shame - richtig - aber wirklich geflasht hat es noch nicht.

5

Carl | 03.09.2012 08:09 Uhr

sehen, lesen

Finde überhaupt nicht, dass hier eine "Vermittlungsebene" fehlte: Die Erklärungen im Zeitungsformat gab es für alle und lagen (jedenfalls als wir da waren) reichlich rum, für Kenner gabs den Katalog.
Wir haben die Zeitung durchaus als eine Art "Lesegerät" verstanden, ähnlich zu den i-pads im russischen Pavillon, nur weniger technisch (oder understatement?). Dort kommt ja auch keiner auf die Idee, die ausgestellten QR-Codes nur als solche lesen zu wollen?

Gold oder nicht: In diesem Jahr waren irgendwie die "leisen" Länderpavillons am überzeugendsten, siehe Nachbar Schweiz: Auch hier, v.a. im Hauptraum, war ein zweiter Blick erforderlich. Wer die Geschichte mit der analogen Fotobelichtung verpasste, dem fehlte die Hälfte. Genauer hinsehen lohnt eben - auf der Biennale wie im Leben.

4

Albert Freistadt | 01.09.2012 21:26 Uhr

Noch weniger wäre nichts

Nein, wir brauchen uns nicht zu schämen. Aber uns selbst einzureden, dass wir Gold verdient hätten, grenzt auch an Wahrnehmungsstörung.

Mag ja sein, dass der Katalog inhaltsschwer und gedankenreich ist. Auch das gesamte Thema war hervorragend gewählt. Doch für die Darstellung in Venedig gibt es massiven Punktabzug.

Besuchern ohne Vorwissen dürfte es äußerst schwer fallen, auch nur Ansatzweise die leitende Idee hinter dem deutschen Beitrag zu erraten.

Die Fotos, wandfüllend tapeziert, sind vielleicht schön anzusehen, vermitteln aber keine gemeinsame Idee hinter den dargestellten Objekten, wobei erschwerend hinzukommt, dass diese mitunter nur im Detail (Betonwand mit Glastür) oder aber versteckt (Baum vor Haus) dargestellt sind.

Das zeugt zwar von subtilen Understatement, ist aber so spröde, dass am Ende nicht mal das Interesse für einen Blick in den Katalog geweckt wird.

Schade. Schönes Ausstellungs-Thema, im Katalog gut aufbereitet, aber zum Schluss in Venedig doch schlecht dargestellt. Da hilft auch kein trotziges "Warum der deutsche Pavillon [doch] gut ist".

3

peter cachola schmal | 31.08.2012 18:00 Uhr

ernst, aber souverän

wie ein besucher am dienstag so schön sagte:
"DIESMAL brauchen WIR uns nicht schämen!"

nein, das brauchen wir wirklich nicht. diesmal nicht.
wir können sogar etwas stolz sein, auch wenn das tägliche blatt in venedig uns den preis für den "most serious pavillon" gegeben hat. besser als "most boring" (an belgien). aber wir sind halt die ernsten, auch wenn wir locker dabei aussehen wollen.

worüber man immer wieder streiten kann: muß es tiefer gehen in einer biennale-ausstellung - oder kann die tiefe auch im katalog stecken, wie hier.

egal, muck petzet, konstantin grcic und erica overmeer haben einen souveränen beitrag abgeliefert, der einen monat vorher fertig montiert war, so daß im katalog auch die installation gezeigt werden konnte.

der raum als raum war einmalig gut bespielt. und das muß ihnen erst einmal jemand nachmachen.

chapeau!

2

Christiane Bürklein | 31.08.2012 16:11 Uhr

Er ist wirklich schön!

Angenehm hell und geräumig, klare Linien und ein Thema, das wirklich spannend ist, auch wenn es sich vielleicht erst beim genaueren Betrachten der schönen Bilder materialisiert.
Mir hat er sehr gut gefallen, ja, wie in den Interviews zu hören, hier kann man sogar zur Ruhe kommen und hat auch ohne Modelle oder das anscheinend unvermeidliche Accessoire Tablet direkten Zugang zum gestalterischen Gedanken der ausstellenden Architekten. Ich kann mich dem Urteil der baunetz-Redaktion nur anschließen.

1

O. | 31.08.2012 15:38 Uhr

Gold!

Recht so: Gold für Deutschland!
Ohne Tsunami-Betroffenheit hätte Japan wohl auch kaum gepunktet.
Glückwunsch an den coolsten Germania-Pavillon ever.

 
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Wohnen im Klostergarten Lehel, München, Hild und K.

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