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05.03.2025
Bauwende jetzt erst recht
Vier Bündnisse und ihre Forderungen
Im Bundestagswahlkampf spielte Klimaschutz keine Rolle, von Baukultur ganz zu schweigen. Umso wichtiger, dass sich die Baubranche jetzt, da die neue Bundesregierung den Kurs der kommenden Jahre aushandelt, mit Forderungen positioniert. Wir schauen auf vier Bündnisse, die für eine Bauwende kämpfen.
Von Maximilian Hinz
Die Ampelregierung hatte sich viel vorgenommen, um klimagerechtes Bauen in Deutschland voranzubringen. Vergleichsweise wenig ist passiert. Zwar hatte das Kabinett die Baugesetznovelle beschlossen, die unter anderem Aufstockungen und Bestandsanpassungen erleichtern soll und Regelungen zur Lebenszyklusbetrachtung formuliert. Und auch der von vielen erwartete Gebäudetyp-e hatte das Kabinett passiert. Doch beides konnte nach dem Bruch der Koalition die parlamentarischen Hürden zum Gesetz nicht mehr nehmen.
Laut einem Bericht der Lobbyorganisation Agora Energiewende (tagesschau) hat Deutschland seine selbstgesteckten Klimaziele für 2024 zwar übertroffen, die europäischen Marken aber verfehlt – vor allem wegen der Sektoren Verkehr und Gebäude. Ein Grund dafür sind entgegengesetzte Interessen innerhalb der Baubranche.
Auf der einen Seite fordern Vertreter*innen der Bau- und Immobilienindustrie immer lauter, den Klimaschutz zugunsten von mehr Bautätigkeit zurückzustellen, um schnell viel und günstig Wohnraum schaffen zu können – auch auf der grünen Wiese. In eine derartige Richtung zielte etwa die vom Bundesbauministerium angestoßene Bau-Turbo-Norm im Baugesetzbuch (Sonderbauregelung § 246e), die zuletzt auch FDP und CDU umsetzen wollten. Demgegenüber setzen sich beispielsweise die Bundesarchitektenkammer und Architects 4 Future (A4F) für die Priorisierung von Bestandsumbau (etwa durch die Muster-UMbauordnung) und angemessene CO2-Preise ein. Weiter fordern sie, unversiegelte Flächen zu schonen und Abrisse zu vermeiden, statt sie zu fördern.
In diesem Sinne haben sich im vergangenen Jahr mehrere Bündnisse unter der Überschrift Bauwende formiert. Sie werden von untereinander gut vernetzten Akteuren getragen, die sozial-ökologische Architektur längst zu ihrer Lobby- und Forschungsaufgabe gemacht haben. Teils sind es dieselben Initiativen oder Personen, die sich so auf verschiedene Weisen politisches Gehör verschaffen. Ihre Aufrufe und Offenen Briefe haben auch BauNetz im Zuge der Neuwahlen erreicht. Allen voran A4F, die nebst eigener Forderungen viele der Bündnisse unterstützen oder mitaufgebaut haben.
Bauwende Allianz – Vernetzung außerhalb der Blase
Die frisch gegründete Bauwende Allianz setzt auf Zusammenarbeit weit über Fachgrenzen hinaus. Über 500 Personen aus Planung, Forschung, Finanzwelt und Politik trafen sich zum digitalen Launch im Januar. Hinter der Initiative steht die gemeinnützige Organisation ProjectTogether, die sich auf die Steuerung gesellschaftlicher Transformationen spezialisiert hat. Für Aufbau und Weiterentwicklung der Bauwende Allianz kooperieren sie in erster Linie mit Bauhaus Erde. Darüber hinaus zählt das Netzwerk mittlerweile 170 Mitgliedsorganisationen. Dass darunter neben A4F, Concular und Madaster auch beispielsweise das Umweltbundesamt, kommunale Verwaltungen und Stadtentwicklungsbehörden sowie die Deutsche Kreditbank DKB, die Greyfield Group oder ZINQ Technologie zu finden sind, lässt auf breit angelegte Strategien hoffen.
In ihrer Anfangsphase will die Bauwende Allianz Vorbildprojekte aufzeigen, Finanzierungskonzepte für ökologische wie soziale Vorhaben entwickeln und Regulierungen erarbeiten, die Planung, Zivilgesellschaft und Bauindustrie berücksichtigen. Wir haben die Allianz gefragt, welche Ansätze sie im Bereich der Gesetzgebung sehen:
- eine verbindliche Lebenszyklus-Emissionsgrenze und Zirkularitätsnachweise bei Baugenehmigungen einführen
- einen verminderten Mehrwertsteuersatz für Sanierungen und erleichterte Umnutzung von Gewerbe- in Wohnflächen: So soll auch die Bauwirtschaft angekurbelt werden.
- vereinfachte Verfahren für Umbau und Sanierung
- Fast-Track-Verfahren für nachhaltige Bauprojekte
bauwende-allianz.org
Anti-Abriss-Allianz – Die Beweislast umkehren
Die Ende 2024 im Rahmen der Leipziger Denkmalmesse gegründete Anti-Abriss-Allianz (AAA) will der Politik auf Bundes- und Landesebene helfen, Gebäudeabrisse zu vermeiden und fordert eine Umkehr der Beweislast: Nicht nur wer baut, braucht eine Genehmigung, sondern auch wer abreißen will. Dafür erarbeitet das interdisziplinäre Bündnis konkrete Handreichungen. Hervorgegangen ist das Bündnis aus einem Netzwerk für Rote Listen im Kulturerbeschutz, das KulturerbeNetz.Berlin, Denkmalnetz Bayern und der Deutsche Verband für Kunstgeschichte aufbauten. Nun gehört eine lange Liste an Bündnispartnern dazu, darunter das Abriss-Moratorium, A4F, Bauhaus Erde, die Architektenkammer Berlin und der BDA, aber auch lokale Initiativen, die sich für einzelne Bauwerke engagieren.
Erste Vorschläge hat uns AAA auf Nachfrage bereits dargelegt:
- Abrisse sollen in den Landesbauordnungen wieder genehmigungspflichtig werden. Dafür müssten eine Treibhausgasbilanz sowie ein Konzept für Rückbau und Entsorgung nachgewiesen werden.
- Genehmigungen von Umbauten in den Landesbauordnungen sollen vereinfacht werden.
- Ein behördlicher Leerstandskataster soll mehr Zwischennutzungen ermöglichen.
kulturerbenetz.berlin/anti-abriss-allianz
HouseEurope! – Ein Recht auf Wiederverwendung in Europa
Die Initiative HouseEurope! um Olaf Grawert und Arno Brandlhuber will die Bauwende über eine Bürgerinitiative auf europäischer Ebene voranbringen. Mit einer Unterschriftensammlung können Menschen die EU-Politik in Form von Gesetzesvorschlägen direkt adressieren. Wenn eine Million EU-Bürger*innen aus mindestens sieben Mitgliedstaaten das Anliegen unterstützen, muss sich die Europäische Kommission damit auseinandersetzen. Bis 31. Januar 2026 müssen die Stimmen beisammen sein.
Dabei geht es um ein „Recht auf Wiederverwendung für bestehende Gebäude“. Die Forderungen:
- Sanierungsarbeiten von der Mehrwertsteuer befreien, ebenso Bauteile aus nachwachsenden Rohstoffen oder wiederverwendete Materialien
- verbindliche Standards für die Risikobewertung von Bestandsbauten im EU-Binnenmarkt: Aktuelle Standards führten zu einem verzerrten Bild, da sie die Vorteile gegenüber Neubauten nicht einrechnen und so Investitionen erschwerten.
- Intertemporale Ökobilanzen einführen, die den Wert grauer Energie abbilden
Um ihr Anliegen europaweit zu verbreiten, arbeiten HouseEurope! in den jeweiligen Ländern mit lokalen Partnern zusammen. In Deutschland sind es A4F.
houseeurope.eu
Hochschulnetzwerk – „Greifen Sie auf unsere Expertise zurück!“
Druck kommt auch aus der akademischen Welt, wo die Themen der Bauwende längst Usus sind. Das im Sommer 2024 gebildete Hochschulnetzwerk „Gemeinsam für die Bauwende“ versammelt Mitglieder von A4F sowie mittlerweile über 200 Lehrende deutscher Hochschulen. Kurz vor der Bundestagswahl lancierten sie einen Offenen Brief. Darin fordern sie die neue Bundesregierung auf, klima- und ressourcengerechtes Bauen als Priorität in das Regierungsprogramm aufzunehmen und zu einer Versachlichung der Debatte zurückzukehren. „Bekennen Sie sich zu den Forderungen aus der Wissenschaft! Sprechen Sie uns an und greifen Sie auf unsere Expertise zurück!“, heißt es darin.
Zu den zehn Forderungen des inhaltsschweren Papiers zählen:
- die Reduktion von Flächenbedarfen: Damit sind die Umnutzung von Leerständen, die Verhinderung von Kurzzeitmieten oder politische Anreize für eine Reduktion der Wohnflächen (aktuell durchschnittlich knapp 50 Quadratmeter pro Person) gemeint.
- Gesetze und Regularien grundsätzlich auf den Umbau, nicht an Neubaustandards ausrichten
- Lowtech-Konzepte bevorzugen und den Gebäudetyp-e weiterentwickeln, um Baukosten und Ressourceneinsatz zu senken
- eine ganzheitliche CO2-Bilanzierung und Grenzwerte für Treibhausgas-Emissionen ins Gebäudeenergiegesetz aufnehmen
- die Kompetenzen des Bundesbauministeriums ausweiten
tu.berlin
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