In einer Biografie, die bald nach dem Tod von Charles W. Moore in den Neunzigerjahren erschienen war, wurde die Frage nach dem Privatleben des amerikanischen Architekten als Missverständnis abgetan: Moore habe sein Leben voll und ganz der Architektur gewidmet. Genau dieses „Bild des einsamen Genies“, so schreiben Wolfgang Voigt und Uwe Bresan in dem von ihnen herausgegebenen Buch Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, sei in der Vergangenheit immer wieder bemüht worden, um Aussagen zur Homosexualität von Entwerfer*innen zu vermeiden.
Während die offen gelebte Homosexualität von Künstler*innen längst kein Argument mehr gegen den Ankauf ihrer Arbeiten darstelle, sähen sich viele queere Architekt*innen bis zum heutigen Tage veranlasst, ihre sexuelle Orientierung geheimzuhalten. Nach Ansicht der Herausgeber hat diese Diskrepanz ihre Ursache im Verständnis der Architektur als einer Dienstleistung. Das noch immer präsente Stereotyp des Schwulen als eines hemmungslosen Hedonisten scheine unvereinbar mit dem Wunsch nach Planungssicherheit, wie ihn die auf Wertschöpfung bedachten Bauherr*innen hegten. Umso größer sei das Erfordernis, auf role models hinzuweisen – auch auf historische.
Dass indessen nur wenige Architekt*innen als homosexuell bekannt geworden sind, dürfte – von der Sorge vor Diskriminierung abgesehen – auch daran liegen, dass sich die sexuelle Orientierung der Schöpfer*innen in einem Bauwerk kaum so artikulieren lässt wie in einem Gemälde oder Roman. Hatte Heinrich Detering vor beinahe dreißig Jahren in seiner Arbeit Das offene Geheimnis die Verbindungen zwischen den Werken prominenter Autoren und deren Homosexualität aufgezeigt, beurteilen Voigt und Bresan die Annahme als naiv, dass man „einem Gebäude oder Interieur ansehen kann, welche sexuelle oder bloß geschlechtliche Identität sein Entwerfer besitzt oder besaß“. Entsprechend mutet eine Einschätzung aus jüngerer Zeit, wonach die spektakuläre postmoderne Architektursprache des eingangs erwähnten Charles W. Moore ihren Ursprung in dessen unterdrückter Homosexualität gehabt habe, vor allem wie eine Entgegegnung auf alles Stillschweigen der Vergangenheit an. Sie erscheint aber deshalb nicht weniger fragwürdig.
Voigt und Bresan sehen davon ab, einen „spezifisch schwulen Entwurfsstil“ aufzeigen zu wollen. Obschon sie selbstverständlich auch auf Bauten und Entwürfe eingehen, stellt ihr Buch, ganz wie im Titel angezeigt, in erster Linie eine Beschäftigung mit Architekt*innenbiografien dar. In vierundzwanzig Essays, größtenteils von den Herausgebern selbst verfasst, werden Lebensläufe geschildert, die durch Geheimhaltung, Anpassung und Benachteiligung, aber auch durch professionelle Erfolge und emanzipatorischen Stolz geprägt sind. Dass vorangig die Viten homosexueller männlicher Architekten aus Europa und Nordamerika vorgestellt werden, nebst einer Trans-Architektin aber lediglich eine lesbische Entwerferin vertreten ist, begründen Voigt und Bresan mit dem besonderen Erfordernis nach Diskretion, das das Leben homosexueller Frauen noch deutlicher bestimmt habe.
Indessen sehen sich die Autoren in den allermeisten Fällen gezwungen, die „Architekturgeschichte queer zu lesen“, um in ihren Aufsätzen „die poetisch verbrämten Formeln der Biografik zu entziffern und hinter den neutralisierenden Hüllen das Wahrscheinliche zu erkennen“. Dabei verwahren sich Voigt und Bresan gegen den Vorwurf, das Ansehen der Porträtierten zu verletzen. Vielmehr möchten sie die Darstellungen als Bekundungen des Respekts verstanden wissen. Gemäß ihrer Feststellung, dass sie den „erwünschten Beweis à la smoking gun“ nicht in jedem Fall hätten erbringen können, nehmen sich die Bemühungen, etwa in schriftlichen Dokumenten Hinweise auf die Homosexualität der Architekt*innen zu finden, dabei mitunter durchaus nachvollziehbar, bisweilen aber auch eher spekulativ aus.
Lesenswert ist der Band, der nicht so sehr neue Ansätze der Architekturinterpretation, sondern eher einen Beitrag zur gesellschaftspolitischen Debatte liefert, schließlich auch aufgrund der spannenden Biografien der prominenten und noch unbekannten Architekt*innen. Bisweilen ist die Lektüre sogar ausgesprochen witzig. So hebt die in der mittelhessischen Provinz tätige Hildegard Schumacher, indem sie die positiven Reaktionen auf ihre Geschlechtsangleichung schildert, hervor, dass sie seither zu den eleganten und gut angezogenen Frauen der Stadt gezählt werde und fügt hinzu: „Was in Limburg nicht besonders schwierig ist.“
Text: Achim Reese
Schwule Architekten. Verschwiegene Biografien vom 18. bis zum 20. Jahrhundert / Gay Architects. Silent Biographies from 18th to 20th Century
Wolfgang Voigt, Uwe Bresan (Hg.)
Gestaltung: Franziska Langner
Deutsch/Englisch
304 Seiten
Wasmuth & Zohlen, Berlin 2022
ISBN 978-3803023780
39,80 Euro
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Albert Freistadt | 11.10.2022 15:42 UhrPrivatsache
Lieber Vorredner @lutzinger, Homosexualität war in der Vergangenheit leider keine Privatsache. So stürmte die Sittenpolizei gern mal deutsche Wohnungen und Hotelzimmer, wenn sie hinter der Tür zwei Männer beim Sexualakt vermutete. Nachzulesen sind solche Geschichten in eben jenem besprochenen Buch, denn es traf wohl auch Architekten, die in der Folge mit Gefängnis und Berufsverbot konfrontiert waren. Vor diesem Hintergrund wirkt es durchaus bigott, wenn heute gern gesagt wird, das sei doch alles Privatsache. Für den deutschen Staat und seine Gesetze war es das nämlich lange Zeit nicht.