Der künftige Fritz District im Münchner Stadtteil Neuperlach könnte eines Tages durchaus als Vorzeigeprojekt einer zeitgemäßen Stadtentwicklungspraxis gelten. Denn die aktuelle Planung des Quartiers umfasst Aspekte wie Bestandserhalt, Zirkularität, Umnutzung, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Öffnung zur Nachbarschaft und Partizipation in einem.
Bis zu 65 Prozent der Substanz eines großen Bürokomplexes im Südosten Münchens sollen erhalten und das Areal in ein gemischt genutztes Viertel transformiert werden. Das zeugt in Hinblick auf die noch gängige Praxis des Abrisses ausgedienter und veralteter Strukturen von Mut. Ebenso ungewöhnlich ist der gemeinschaftliche Prozess, durch den man zum städtebaulichen Entwurf kam. Einem zweistufigen Wettbewerb war eine definitorische „Phase 0“ in Form eines „Vision Workshops“ vorangegangen. Daran beteiligten sich neben Expert*innen, Jury, Verwaltung und Politik auch die Teilnehmerbüros. Aus dem anschließenden RPW-Verfahren mit elf Teams gingen Ende 2022 vier Preisträger hervor, die sich schließlich in diesen Sommer in einem kooperativen Werkstattverfahren dem nun vorliegenden Ergebnis näherten.
Die Situation an der Fritz-Schäffer-Straße 9 umfasst bisher einen monofunktionalen Bürostandort der Allianz, der sich über zwei große Gebäudekomplexe erstreckt und ein Areal mit rund 33.700 Quadratmetern besetzt. Das Gebäude im Westen stammt von 1996, wird derzeit gemäß aktueller Nachhaltigkeitskriterien saniert und einer modernen Büronutzung zugeführt. Der krakenartige, fünfflügelige Gebäudemonolith im östlichen Teil des Planungsareals ist 1984 errichtet worden und Gegenstand der vorliegenden Transformationsmaßnahme.
Als Grundstückseigentümer agiert der Investor Hines Immobilien mit einem seiner Fonds-Produkte. Zusammen mit der Landeshauptstadt München lancierte das Unternehmen den städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerb. Gewinner war das Team Site Practice (Amsterdam) mit ZUS (Rotterdam). Diese schlugen vor, aus der bestehenden Struktur einzelne Blöcke auszuschneiden sowie durch Rückbau, Aufbau und Neubauten ein Ensemble aus neun Baukörpern samt öffentlicher Durchwegung und Plätzen zu schaffen. Der Entwurf wurde in der anschließenden zweiten Phase gemeinsam mit den weiteren drei Preisträgern pool Architekten (Zürich), Robertneun Architekten (Berlin) und Mad Arkitekter (Oslo) zum jetzigen Planungsstand fortgeschrieben. Alle vier beteiligten Büros haben zudem im Zuge der Mehrfachbeauftragung die Entwürfe für jeweils zwei beziehungsweise im Fall von Site Practice drei Gebäude ausgearbeitet.
Das gesamte urbane Quartier soll später rund 110.000 Quadratmeter Geschossfläche umfassen. Darauf verteilt sich ein gemischtes Programm aus Wohnen und Arbeiten, Kleingewerbe, Infrastruktur und Kultur. Eine belebte Erdgeschosszone und mehrere gemeinschaftlich nutzbare Dachterrassen sollen unter anderem Platz für Maker-Spaces, eine Kita oder eine Schwimm- und Sportanlage bieten.
Bei dem Verfahren Fritz-Schäfer-Straße 9 wird laut der Landeshauptstadt das 2021 neu definierte Baukastenmodell der SoBoN, also des speziellen Münchner Instruments einer Sozialgerechten Bodennutzung angewendet. Außerdem soll sich das Quartier durch seine hohe Dichte, eine heterogene Höhenentwicklung bis zu 16 Geschossen und eine Öffnung zum umliegenden Stadtviertel auszeichnen. Ohnehin spielt sich das Projekt im Kontext von Stadtsanierungsmaßnahmen rund um die als größte westdeutsche Großwohnsiedlung der Nachkriegszeit in die Geschichte eingegangene Nachbarschaft ab.
Die Verteilung der zukünftigen Nutzungen innerhalb des Fritz-Quartiers orientiert sich an Lärm- und Lichtverhältnissen vor Ort. Die Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen aus dem jetzigen Bestand wie etwa Steinbekleidungen oder Fensterrahmen und Holz-Hybrid-Konstruktionen für die Neubaubereiche sind ebenso erklärte Ziele.
Juryvorsitzende Ina Laux erklärt im Gespräch mit BauNetz zusammenfassend, das Fritz-Quartier sei aufgrund seiner Qualitäten hinsichtlich einer neuen Umbau- und auch Verfahrenskultur beispielhaft. Das eigens für die Fritz-Schäffer-Straße 9 konzipierte und mit der Bayerischen Architektenkammer abgestimmte mehrstufige Verfahren zeige „einen nahtlosen Prozess von Städtebau zu Hochbau“ auf, der einen „Paradigmenwechsel hin zu einer ganzheitlichen Gestaltung von Städtebau und Architektur“ einleiten könne.
Beim co-kreativen Ansatz zwischen den Akteuren sieht Laux abermals Parallelen zur Bestandsituation vor Ort. Seit zwei Jahren werden Teile des Gebäudekolosses von der Shaere Community Kitchen genutzt, einer Initiative zur Rettung von Lebensmitteln, die sich inzwischen auch als offener Treffpunkt, Gemeinschaftsküche, Bildungs-, Kultur- und Veranstaltungszentrum im Viertel versteht. Das Projekt soll über die Zwischennutzung hinaus im neuen Fritz District einen Platz erhalten. (sab)
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schlawuki | 15.11.2023 15:48 Uhr...
schlimm.
ganz, ganz schlimm.