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14.05.2019
Im Schatten des Damms
Venedig: Zu Besuch im Deutschen Pavillon
Bei der letzten Architekturbiennale in Venedig lautete im Deutschen Pavillon das Motto „Unbuilding Walls“, und nun, nur ein Jahr später, steht da diese riesige graue Staumauer aus Spritzbeton. Zur Biennale di Arte 2019 hat die „Künstlerische Position Natascha Süder-Happelmann“ zusammen mit der Kuratorin Franciska Zólyom und weiteren Beteiligten in den Giardini ein „Ankersentrum“ (sic!) errichtet. Dieses eröffnet mit einem einfachen, aber monumentalen räumlichen Eingriff komplexe historische und politische Bezüge – wenn man denn nach ihnen sucht.
Von Stephan Becker und Linda Kuhn
Es sind zwei unterschiedliche Zonen, die im Hauptraum des deutschen Pavillons entstanden sind. Der Bereich vor der Staumauer wirkt wohlgeordnet, aber mit seinen locker arrangierten Felsen und dem hübsch geschwungenen Silikonrinnsal auch etwas tot, fast wie das Klischee einer gediegenen Kunstinstallation in einer teuren Galerie. Die andere Seite besteht hingegen aus einer provisorisch wirkenden Gerüstkonstruktion, an der zahlreiche Lautsprecher befestigt sind. Den Übergang zwischen beiden Bereichen markieren wiederum blaue Kisten, wie sie in Süditaliens Tomatenplantagen zum Einsatz kommen. Ein Schild, umgedreht und damit kaum lesbar, verweist auf die ausbeuterische Bedingungen, unter denen Plantagenarbeiter*innen diese Kisten zumeist befüllen. Damit wird schnell klar, dass nach der positivistischen Präsentation im letzten Jahr, die Deutschland als Champion der räumlichen Versöhnung pries, während der jetzigen Kunstbiennale im Deutschen Pavillon ein kritischerer Ansatz herrscht. Der Name der Installation, „Ankersentrum“ in genau dieser Schreibweise, tut sein Übriges. Gestaltet wurde sie von der „Künstlerischen Position Natascha Süder-Happelmann“, hinter der sich unter anderem die Berlinerin Natascha Sadr Haghighian verbirgt.
Diese Kunstfigur Natascha Süder Happelmann, deren Name sich aus den vielen Falschschreibungen von Haghighians Namen durch Behörden oder Google-Algorithmen zusammensetzt, gibt schon seit einigen Monaten den Ton der Arbeit vor: Als eigenständige Identität ist sie ein Hybrid aus Mensch und Fels, der gesichtslos Pressekonferenzen gibt oder durch die Landschaft wandelt. Mit ihrer starken Verweigerungshaltung unterläuft die Figur mit dem Fels-Konterfei die Mechanismen der nationalen Repräsentation, wie sie sonst trotz aller gegenteiliger Bemühungen noch immer oft die große Kunstshow in der Lagune prägen. Die kurzen Videoclips, die Haghighian zuvor als Teil ihres Beitrags zum Pavillon veröffentlichte (aber nicht in der Ausstellung zeigt), führen zu den tatsächlichen Ankerzentren – auch zu jenen Tomatenfeldern in Apulien, auf denen illegale Migranten unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften. Das sind Themen, mit denen sich ein Staat nicht unbedingt nach außen schmückt. Dennoch ist Außenminister Heiko Maas bei seinem Eröffnungsbesuch in Venedig sichtlich stolz, diese staatlich finanzierte Widerspenstigkeit im deutschen Pavillon mitzutragen.
Mit einer wie auch immer gearteten, womöglich sogar positiv gemeinten Form der Verankerung von Geflüchteten und Entrechteten in einem sicheren Hafen haben Ankerzentren übrigens nichts zu tun. Laut Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD ist der Begriff „Anker“ ein letztlich missverständliches – ja sogar zynisches – Akronym für Ankunft, Entscheidung, Rückführung. Im Pavillon in Venedig, dessen räumliches Konzept von der Kooperative für Darstellungspolitik (Berlin) stammt, übersetzt sich diese versprachlichte Totalität in die konkrete Gegensätzlichkeit der Räume, die durch die trennende Staumauer erzeugt werden. Dass es sich dabei keineswegs um eine platte Kritik an der Festung Europa – Stichwort: „Migrantenflut“ – und Deutschlands Beitrag zu ihr handelt, wird vor allem durch den thematischen Rahmen deutlich: Der Damm wird im Ankersentrum nämlich Sinnbild einer kapitalistischen Produktionsweise, die sich mehr oder weniger gewalttätig die gesamte Welt unterwirft. Als Referenz wird im Katalog unter anderem Herman Sörgels Atlantropa-Projekt zur Trockenlegung von Teilen des Mittelmeers genannt. Mit Blick auf das heutige Meer als gigantischer Grenzanlage klingt solch ein Plan allerdings weniger nach spätkolonialem Größenwahn als schon fast nach einer (wieder) vielversprechenden Utopie.
Mit dem Damm und seinen zwei Seiten stellt sich außerdem die Frage nach dem Ein- und Ausschluss bestimmter Menschengruppen, die im Katalog ebenfalls als ein entscheidendes Merkmal des Kapitalismus beschrieben werden. Die Ausgeschlossenen lassen sich wiederum als günstige Arbeitskräfte ausnutzen, wie es im Fall der italienischen Tomatenproduktion geschieht. Konkret bleibt die Frage nach Ein- und Ausschluss im Pavillon übrigens ambivalent. Der Damm ist fragil, er könnte jederzeit einstürzen, und welcher Raum begehrenswert oder auch schützenswert ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Im Schatten der Staumauer lebt es sich schließlich auch nicht unbeschwert, und der Zugang zum Wasser bedeutet in Zeiten des Klimawandels eben auch Macht und Privileg.
Hinzu kommt, dass der Bezug zu den Arbeiter*innen auf den italienischen Feldern für die „Künstlerische Position Natascha Süder-Happelmann“ auch Raum für eine optimistischere Note eröffnet. Da wäre zum einen die Solidarität zwischen den Ausgegrenzten, wie sie zum Beispiel in jenen Trillerpfeifen zum Ausdruck kommt, mit denen sie sich vor der Polizei warnen. Im Pavillon wird daraus ein „Tribute to Whistle“, eine Soundinstallation mit Beiträgen von sechs Musiker*innen und Komponist*innen. Jessica Ekomane, Maurice Louca, DJ Marfox, Jako Maron, Tisha Mukarji und Elnaz Seyedi eignen sich in diesem Sinne die Ruine „Deutscher Pavillon“ – der demonstrativ die Spuren der Installationen der vergangenen Jahre zeigt – kollektiv an. Im multidirektionalen Klangfeld, das dank vieler Lautsprecher und der sich teil überlagernden Stücke im Gerüst entsteht, verschwimmt zudem die Eindeutigkeit: Was hören wir wo, wer ist Zuhörer*in und wer hat mit seiner Bewegung auch Anteil an der Aufführung? Gemäß Kuratorin Franciska Zólyom kann dieses Setting – vielleicht etwas zu hoffnungsvoll – als Referenz für eine Ästhetik mit soziopoetischer Kraft zur Veränderung verstanden werden. Zum anderen stellt der für das Verständnis der Arbeit letztlich leider essenzielle Katalog über die Feldarbeiter*innen eine Verbindung zu den Bauernaufständen des frühen 16. Jahrhunderts her. Deren Potential, die dominante westlich-kapitalistische Geschichtsschreibung der letzten Jahrhunderte zu überwinden, wird hier mit Blick auf die Zukunft zitiert.
Die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem stattlichen Pavillon ist in diesem sozioökonomischen Geflecht also nicht das explizite Ziel von Kritik, sondern wird durch den antirepräsentativen Ansatz von „Anksersentrum“ als strukturelles Element der gegenwärtigen Verhältnisse benannt – ein Vorgehen, das in seiner analytischen Qualität typisch für Haghighians bildhauerischer Arbeit ist. In diesem Sinne ist das Projekt in all seinen Dimensionen – von der ersten Pressekonferenz über die auf der Webseite einsehbaren Videoclips bis hin zur resultierenden Rauminstallation – präzise konstruiert. Ganz aufgehen dürfte diese Kalkulation allerdings trotzdem nicht, entziehen sich doch all diese Bezüge den vielen Besucher*innen, die nicht den Katalog lesen werden und die auch sonst vor Ort kaum auf weitere Hinweise stoßen. So bleibt der Pavillon ein Stück weit Insiderkunst, trotz seiner grundsätzlich vorhandenen ästhetischen Kraft. Aber vielleicht ist auch diese finale Verweigerung nur ein weiterer schlauer Zug der künstlerischen Position Natascha Süder-Happelmann.
Fotos: Jasper Kettner, Francesco Galli, Stefan Fischer, Stephan Becker
Zum Thema:
www.deutscher-pavillon.org
Die Kunstbiennale in Venedig läuft noch bis zum 24. November 2019. Weitere Beiträge zu den Länderpavillons und der Hauptausstellung folgen in den nächsten Tagen.
www.labiennale.org
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Kommentare:
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Der Pavillon als Ruine, die Spuren von „Unbuilding Walls” der letzten Architekturbiennale sind noch immer zu sehen.
Der Staudamm im Pavillon bezieht sich unter anderem auf Herman Sörgels Atlantropa-Projekt, mit dem er das Mittelmeer teilweise trockenlegen wollte.
Die Soundinstallation „Tribute to Whistle“ hinter der hauchdünnen Wand aus Spritzbeton.
Die „Künstlerische Position Natascha Süder Happelmann“ mit ihrer Sprecherin Helene Duldung, gespielt von Susanne Sachsse, vor dem Auswärtigen Amt in Berlin. Teil des Venedig-Beitrags von Natascha Sadr Haghighian sind nicht nur der Katalog und die drei Videoclips auf der Webseite, sondern auch die Auftritte im Vorfeld.
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