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13.07.2016

Leere Zellen

Ungewisse Zukunft für Justizvollzugsanstalt in Münster


Ein Kommentar von Stefan Rethfeld

Der Zeitpunkt kam für viele schneller als gedacht. Ab sofort steht in der Innenstadt von Münster – nur 700 Meter vom Prinzipalmarkt entfernt – das denkmalgeschützte Gefängnis leer. Knapp 500 Gefangene wurden in der vergangenen Woche in einer spektakulären 48-Stunden-Aktion auf andere Anstalten im Land verteilt. Die Räumung erfolgte auf Anweisung des BLB Bau- und Liegenschaftsbetriebes NRW. Die Düsseldorfer Zentrale stufte das über 160 Jahre alte Gebäude als in Teilen einsturzgefährdet ein und kündigte dem NRW-Justizministerium die Liegenschaft. Rund 270 Beschäftigte bereiten vor Ort derzeit die Auflösung der Anstalt vor.
 
Die plötzliche Maßnahme ist Teil einer schon längeren Planungsposse. Denn der Sanierungsbedarf des historischen Gefängnisses ist schon seit Jahren bekannt. Da jedoch ein Neubau anvisiert wurde, unterblieb der notwendige Unterhalt. Doch auch die Neubaupläne platzten, da nach aufwendiger Standortsuche im Stadtgebiet von Münster sich nur schwerlich Baugrund finden ließ und der 2013 letztlich favorisierte Standort in Münster-Handorf ebenfalls keine Option mehr darstellte. Nicht nur Bürger protestierten gegen Flächenfraß, auch die auf dem Terrain ansässige Bundeswehr reklamierte ihn für sich. Seitdem ruhen alle Planungen – und Bund, Land und Stadt sind miteinander ratlos.
 
Die jetzige Räumung setzt jedoch die Handelnden wieder unter Zugzwang. In Ermangelung eines neuen Grundstücks kündigte der BLB an, nun sogar bei der Stadt den Abriss der historischen Strafanstalt zu beantragen, um den Standort – zunächst mit Containern – neu zu bebauen. Damit könnte sich der Skandal noch erheblich vergrößern, stellt das Gefängnis doch ein bedeutendes Baudenkmal dar und zählt zum stadthistorischen Tafelsilber Münsters.
 
Gebaut wurde die Anstalt von Carl Ferdinand Busse (1802–1868), enger Mitarbeiter Schinkels, von 1849-1866 Direktor der Bauakademie Berlin und als leitender preußischer Baubeamter zuständig für die Landbauten in der Rheinprovinz, in Westfalen und Schlesien. Nach ersten Kirchen wurden ihm vor allem Post- und Gefängnisbauten übertragen, die er nach neuen Reformansätzen unter Friedrich Wilhelm IV. entwarf. Für die Gefängnisbauten avancierte die sternförmige Anstalt in Pentonville in London zum Musterbau. Erste pionierhafte Gefängnisbauten in Preußen entstanden nach Entwürfen von Busse in Berlin-Moabit (1842–49), Köln (1843–45), Breslau (1844–52) und Münster (1844–53).
 
Da die Reformstrafanstalten in Berlin-Moabit in den Jahren 1957/58 und Köln („Klingelpütz“) 1969 bereits abgerissen wurden, können die sternförmigen preußischen Pionierbauten mit zentralem panoptischem Turm heute nur noch in Breslau (Zentralgefängnis) und in Münster besichtigt werden.
 
Bei dem Gefängnis an der Gartenstraße in Münster handelt es sich damit um das älteste und auch heute noch gut erhaltene historische Zellengefängnis Preußens mit Panoptikum in Deutschland. Die Vollständigkeit, Qualität in der Bauausführung und auch die geschichtlich überregionale Bedeutung der ursprünglich als neues Zuchthaus bezeichneten Anlage wurde bereits früh erkannt: Im Dehio (1969) wird dieses als die „künstlerisch bedeutendste erhaltene Architektur des 19. Jahrhundert in Münster“ beschrieben, eine Unterschutzstellung erfolgte im Jahr 1984.

Noch 2013 feierte die Anstalt ihr 160-jähriges Bestehen mit einem Tag der offenen Tür. Und 2014 – die offenen Fragen vor Augen – luden die LWL-Denkmalpfleger zur Fachtagung, um Werte und Potentiale der alten Gefängnisanlage zu erörtern. Die Einigkeit war bei den Anwesenden in vielen Punkten groß: Erhalt des Baudenkmals, Umnutzung für Wohnen und Kultur, parallel hierzu Entwicklung des Quartiers. Zudem der Bau einer neuen Justizvollzugsanstalt (mit vorgeschaltetem Architekturwettbewerb) am Stadtrand oder im Umland auf ehemals genutzten Flächen, die dadurch recycelt werden können.
 
Um so mehr verwundert das jetzige Behörden-Schach. Es scheint, dass Ämter, staatliche Immobilienverwalter und Ministerien die Stadtbaukunstfragen lediglich als Brettspiel betreiben. Besinnung täte gut, um sich zu einer maßvollen und kulturell verantwortungsvollen Lösung durchzuringen. Die ist durchaus denkbar.
 
Gelungene Umnutzungen von Gefängnissen gibt es mittlerweile zuhauf: In Erfurt (Ottmar Stadermann Architekt BDA) entstand ein Büro-, Verwaltungs- und Gedenkort mit Bildungsstätte, im nordspanischen Palencia (Exit Architects) wurde ein Provinzgefängnis des 19. Jahrhunderts zum kulturellen und sozialen Begegnungszentrum, in Boston (Alexandra Champalimaud) das Gefängnis zum luxuriösen Liberty-Hotel.
 
Auch die Umnutzung des historischen Gefängnisses in Münster dürfte attraktiv für vieles sein. Lag die Anlage bei ihrer Errichtung noch vor der Stadtgrenze, befindet sich das Gebäude heute höchst zentral in der Innenstadt. Der Ort ist ein Seismograph des Wachstums. Eine Umnutzung wäre nur folgerichtig. Und das neue Gefängnis wandert zur neuen Außengrenze der wachsenden Stadt Münster.
 
Mögen die Gefangenen auch gehen, die Geschichte bleibt. Und damit auch die kulturelle Verantwortung. Ein Abriss verbietet sich. Jetzt ist Planungskultur gefragt.


Zum Thema:


Weitere Informationen zur Fachtagung
Der LWL hat das Programm der Fachtagung, einen Nachbericht und eine Online-Präsentation bereitgestellt unter: www.lwl.org

Das Denkmal JVA Münster im Film
Damit Interessierte einen Blick hinter die Gefängnismauern werden können, hat der LWL einen Film über das Baudenkmal hinter hohen Mauern gedreht.



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Das 160-Jahre alte Gebäude der JVA Münster steht seit ein paar Tagen nahezu leer, Luftaufnahme, um 1923, Foto: Stadtarchiv Münster, Sammlung Eugen Müller

Das 160-Jahre alte Gebäude der JVA Münster steht seit ein paar Tagen nahezu leer, Luftaufnahme, um 1923, Foto: Stadtarchiv Münster, Sammlung Eugen Müller

Münster, Justizvollzugsanstalt. Blick auf den Verwaltungstrakt mit Kirche im Obergeschoss, 2010, Foto: LWL/H. Dülberg

Münster, Justizvollzugsanstalt. Blick auf den Verwaltungstrakt mit Kirche im Obergeschoss, 2010, Foto: LWL/H. Dülberg

Münster, Justizvollzugsanstalt. Panoptische System. Blick durch die Zentrale in Richtung Flügel IV, 2010. Foto: LWL/H. Dülberg

Münster, Justizvollzugsanstalt. Panoptische System. Blick durch die Zentrale in Richtung Flügel IV, 2010. Foto: LWL/H. Dülberg

Münster, Gefängnis, Grundriss, ohne Umfassungsmauer, Tor- und Wohnungsgebäude, nach 1920

Münster, Gefängnis, Grundriss, ohne Umfassungsmauer, Tor- und Wohnungsgebäude, nach 1920

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