Das Berliner Büro Baumhauer Architekten hat zusammen mit Fanzun Architekten und Ingenieure aus Scuol (Ausführungsplanung, Bauleitung, etc.) ein Bauernhaus in der Schweiz saniert und ausgebaut. Hier im Unterengadin besitzt heute eine Familie ihren Zweitwohnsitz. Die mächtigen Mauern sind geblieben. Der Brunnen vor dem Haus auch. Nur die helle Holzfassade des hinteren Gebäudeteils verrät, dass hier kürzlich etwas passiert sein muss.
Wer hier wohnt, hat sich bewusst für diesen Ort entschieden. Die überschaubare Dorfgemeinschaft Tarasp im Kanton Graubünden liegt im Osten der Schweiz an der Grenze zu Österreich: ein Ort, der einst über Jahrhunderte österreichisch war. In Florins lebt es sich so ruhig, wie man sich Ruhe nur vorstellen kann. Fünf Häuser gruppieren sich um einen Brunnen, der Blick aus dem Fenster schweift über die Spitzen der umliegenden Berge. Mitten in dieser Landschaft: 500 Quadratmeter Gemütlichkeit. Das Haus Florins sieht weder besonders alt noch besonders neu aus. Genauso soll es auch sein. Dieser Umbau ist auffällig unauffällig. „Im Unterengadin, dem unteren Inntal, sind die Dorfbilder noch intakt, kaum ein Haus wurde totsaniert“, erzählt der Berliner Architekt Philipp Baumhauer, der selbst oft und gerne in diese Gegend fährt. Über Bekannte aus der Region kam die Anfrage zu dem Umbauprojekt Haus Florins – Baumhauer Architekten hatten Erfahrung im Thema Bauen im Bestand. Das Haus Florins: Es scheint etwas schlichter als seine Nachbarn, etwas frischer auch, aber auf keinen Fall fremd.
Der Bestand in Florins war speziell. Als klassisches Engadiner Bauernhaus setzte sich das historisch gewachsene Ensemble aus einem vorderen, unsanierten Wohnbereich und einem von der Straße abgewandten Wirtschaftsteil zusammen. Von den Architekten beauftragte Holzuntersuchungen ergaben, dass der Baum für die ältesten Balken um 1620 gefällt worden war. Ein „schöner Dachstuhl aus dem 18. Jahrhundert zeugt von hoher Zimmermannskunst“, so Baumhauer, andere Holzbalken waren zum Teil erst vor 100 Jahren ausgetauscht worden.
Während das Team von Philipp Baumhauer den vorderen Hausteil des einstigen Engadinerhauses von jeglichen Einbauten befreit und behutsam saniert hat, hat es in den etwa 400 Kubikmeter großen Scheunenraum und den darunterliegenden Stall des hinteren Hausteils einen eigenständigen Holzbaukörper gestellt. Dieses Element ergänzt nun die bestehenden Wohnräume. Um den dreigeschossigen Holzkörper in den Bestand überhaupt integrieren zu können, mussten die Architekten die Decke zwischen Stall und Scheune entfernen. Da die Architekten das Raumvolumen der riesigen Scheune in seinem Wesen erhalten wollten, sollte dieser Teil zwischen Erd- und Obergeschoss aber nicht einfach mit Quadratmetern gefüllt werden. Die ergänzenden Wohnräume schieben sich deshalb im Obergeschoss in den doppelgeschossigen Wohnraum. „Der vordere Teil springt in die Höhe“, sagt Philipp Baumhauer. Er reicht nun bis unter das Dach des eingestellten Körpers, dessen Oberflächen innen mit Lärchenholz verkleidet sind.
Hinter den dicken Steinmauern, die so typisch sind für ein Engadiner Bauernhaus, wurde das Haus zwar generalsaniert, die Atmosphäre blieb aber erhalten. Die innenliegenden, mit historisch weißem Kalkputz bearbeiteten Wände und Rundbögen über den Küchenfenstern erinnern an die Bescheidenheit einer Klosterzelle; die historische Arvenholzverkleidung, die in vielen Räumen Boden, Wände und Decken komplett bedeckt, sorgt für die von den Bauherren gewünschte Atmosphäre, ohne dabei den jeweiligen Raum zu erdrücken. Je nach Türbeschlägen und Schrankgriffen kann das manchmal etwas bieder wirken – oder sogar zu viel. Aber ebenso, wie man sich für diesen Ort entschieden hat, hat man sich auch für das Bauernhaus entschieden. Zu modern ist hier nichts, dieser Umbau ist ein Spagat zwischen Alt und Neu, zwischen Bautradition und zeitgenössischer Architektur, zwischen einem „Viel-zu-Viel“ und purer Gestaltung. Die neuen Bewohner wollten schließlich nicht in einer kühlen Betonhöhle leben.
Dass die Entscheidung für den Um- und Einbau perfekt zur Typologie des Engadinerhaus passt, spielte den Architekten in die Hände. Das klassische, traditionelle Bauernhaus setzt sich in der Regel aus mehreren Bauepochen zusammen: Je nach Zustand und Bedürfnissen seiner Bewohner wurde es laufend erweitert, umgebaut oder aufgestockt. Ursprünglich waren nur Küche, Stube und Schlafzimmer im vorderen Wohnteil durch einen Ofen beheizt, der Rest hatte Außentemperatur. So kommt es auch, dass der einstige Hof überdacht und zum Flur wurde, das große Bogentor erinnert an die Zeit, als die Wagen hier direkt hineinfahren konnten, um das Heu abzuladen. Dieses additive Prinzip, nach dem die Häuser nach und nach gewachsen sind, führen Baumhauer Architekten fort und geben ihm einen zeitgemäßen Ausdruck. Eine enge Zusammenarbeit mit regionalen Handwerkern, die „ein hohes Maß an handwerklichem Können besitzen“, wie Baumhauer weiß, unterstützte die Ausführung in ihrer Qualität.
Das Motiv der tiefen Fensterleibungen in den dicken Außenmauern haben die Architekten aufgenommen und überhöht. Die wenigen großen Fensteröffnungen setzen mit ihrer scharfkantigen Ausführung einen bewussten Kontrast zum Bestand. Auf der anderen Seite knüpfen Baumhauer Architekten mit der Fassade aus sägerauen unbehandelten Lärchenbrettern an die historischen Scheunenbauten an. Die raue und offene Oberfläche verfärbt sich, verformt sich: Das Holz arbeitet. Der Umbau ist nur eine weitere Schicht des Engadinerhauses. Vermutlich werden weitere folgen.
Jeanette Kunsmann
Fotos: Ruedi Walti, Ralph Feiner
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