Das Mitte der 1990er Jahre gegründete chinesische Staatsunternehmen OCT – Overseas Chinese Town ist mit der Errichtung und dem Betrieb von Freizeit- bzw. Themenparks nach dem Vorbild kommerzieller amerikanischer Unterhaltungskultur beauftragt. Diese Anlagen umfassen nicht nur Nachbildungen internationaler Sehenswürdigkeiten, sondern auch Neuinterpretationen ganzer europäischer Städte wie des Schweizer Ortes Interlaken im Freizeitpark OCT East in Shenzhen. In der südwestchinesischen Metropole Chengdu gibt es einen OCT-Park der Marke „Happy Valley“, die sich an Disneyland orientiert. Hier wurde vor Kurzem in einer Einkaufsstraße ein sogenanntes Art Center in eine Buchhandlung transformiert. Mit dem Umbau zum
Fang Ting Bookstore wurde das vor Ort ansässige Büro
A9-Architects betraut.
Die ursprüngliche Kubatur und vorgehängte Glasfassade des zweigeschossigen Pavillons blieben erhalten, sein Inneres hingegen wurde komplett neu gestaltet. Ausgehend von der dreieckigen, stark abgerundeten Grundform entwickelten die Architekt*innen als leitendes Gestaltungsprinzip ein den Raum strukturierendes Liniensystem in Form von geschwungenen Bücherregalen, abgehängten Deckenelementen und mobilen Displays, die ihrerseits verschiedene Raumkonfigurationen ermöglichen. Besonderes Augenmerk erfuhr die Treppe ins Obergeschoss, die großzügig zu einem abgetreppten Lesebereich verbreitert wurde und die räumliche Verbindung der beiden Geschosse verstärkt.
Die Aktualisierung des äußeren Erscheinungsbildes gelang durch eine ebenso einfache wie effektive Maßnahme: Der Baukörper erhielt durch eine vollflächig auf den Verglasungen angebrachte weiße Klebefolie einen monolithischen Charakter. Die Farbschicht schafft einen intimen, visuell abgeschlossenen Innenraum und lässt tagsüber dennoch ausreichend natürliches Licht hinein. Bei Dunkelheit erscheint das Gebäude als Leuchtkörper. Durch schmale, transparente Sehschlitze auf Augenhöhe reduziert sich das geschäftige Treiben der Einkaufsmeile im Inneren des Buchladens auf einen ausschnitthaften, fernen Horizont. Eine weitere poetische Interpretation der Schwelle zwischen innen und außen liefert eine Installation am Haupteingang – hier klemmt das „Buch der Sehnsüchte“ von Leonhard Cohen in den Fugen eines Backsteinmauerwerks.
(hn)
Fotos: Zhenhuan He, Chuan He