1.800 Tonnen Stahlkonstruktion fertigen und montieren, dazu Dach- und Wandverkleidung herstellen, Innenausbau durchführen und die technische Ausrüstung installieren – in nur dreieinhalb Monaten. Ein Kraftakt, schließlich sollte die Ausstellungshalle zur Leipziger Frühjahrsmesse, auf der der Reichsverband der Automobilindustrie Last-, Nutz- und Spezialwagen präsentierte, rechtzeitig fertig sein. Das war 1928. Ein „Meisterwerk in Stahl“, befand die Fachzeitschrift „Der Stahlbau“ damals. Kein Wunder, hielt sie mit einer Stützenweite von fast 100 Metern den Spannweitenrekord in der Welt.
Heute ist die denkmalgeschützte Halle 15, die in den 1990er Jahren vor dem Abriss stand, wie schon Halle 12, jetzt Stadtarchiv, auf dem alten Leipziger Messegelände saniert. Verantwortlich dafür zeichnet das Bremer Büro Westphal Architekten, das in Zusammenarbeit mit der pb+ Ingenieurgruppe (Bremen) tief ins Archiv damaliger Bauvorschriften und Konstruktionsweisen stieg.
Errichtet wurde der Bau von den Leipziger Architekten Crämer & Petschler, die eine stützenfreie Halle über einer Fläche von 100 mal 140 Metern entwarfen. Das Haupttragsystem bestand dabei aus sieben Zweigelenkfachwerkrahmen mit einer Stützweite von 97,80 Metern und einem Rahmenabstand von 19,50 Metern. Zwischen den Rahmen gliederte sich in 21 Metern Höhe die Dachfläche in einen mittleren, geschlossenen Bereich und zwei beidseitig anschließenden Oberlichtern.
Schon wenige Jahre nach ihrer Eröffnung diente die Halle den Nazis als Ort für Großveranstaltungen, bis 1943 eine Bombe die nordöstliche Giebelwand mitsamt dreier Fachwerkrahmen zerstörte. Nach dem Krieg fürchtete man den Zusammenbruch und fügte 1947/48 Zwischenstützen sowie einen fünften Rahmen ein. Die fehlende Ausstellungsfläche kompensierte man mit Hilfe einer umlaufenden Stahlbetongalerie, außerdem wurde eine Zwischenebene eingezogen, ehe die Messehalle 1950 wieder in Betrieb ging. Trotz erneuter Sanierung endete sie Mitte der 90er als Restpostenmarkt und stand, als das neue Messegelände im Leipziger Norden eröffnete, sogar kurz vor dem Abriss.
Die Rettung brachte ein neuer Nutzer: Die Firma Zweirad Stadler, die mit der Rinderauktionshalle in Berlin und der U-Boot-Halle auf dem Hanomag-Gelände in Hannover Erfahrung in der Umnutzung alter Industriearchitektur mitbrachten. Das Ziel: die immense Stahlkonstruktion vor dem Abriss zu bewahren und den ursprünglichen Raumeindruck aus der Erbauungszeit wieder sichtbar zu machen. Dazu wurden zunächst die nachträglich eingebauten Zwischenstützen entfernt und die tragende Konstruktion freigelegt. Um den ursprünglichen Raumeindruck wiederherzustellen, öffneten die Architekt*innen außerdem die niedrigeren seitlichen Anbauten zum Innenraum, trugen die 1950 ergänzten Kopfbauten an der Nordfassade bis auf die Höhe der umlaufenden Anbauten ab und schlossen die Fassade durch zwei kleine Neubauten. Erhalten blieb die im Zuge des Wiederaufbaus eingefügte Verglasung der Hallenaußenwand. Eine Glasfassade am Haupteingang wurde als zeitgenössische Schicht hinzugefügt.
Heute hat die Ausstellungshalle ihre fast 100 Meter stützenfreie Spannweite wieder, mit Platz für 6.000 Quadratmeter Verkaufs- und 2.700 Quadratmeter Lagerfläche. Auch um Mobilität geht’s noch immer, nur werden jetzt statt Last-, Nutz- und Spezialwagen Zweiräder präsentiert. (kat)
Fotos: Frank-Heinrich Müller, Michael Moser, Sächsisches Staatsarchiv, Westphal Architekten
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mr-arcgraph | 03.09.2020 17:24 UhrEiniges offen
Interessant und gut, wie eine für ihre Bauzeit besondere Konstruktion erhalten wurde. Nur läßt der Artikel einiges offen:
Das fängt mit unnützen, »doppelten« und nicht erläuterten Fotos an (9–13 wiederholende Außenaufnahmen sagen, 19–21 wiederholende Nachtaufnahmen, 22/23 was geschieht hier?). Weiter geht es mit leider fehlenden Innenaufnahmen aus der jüngeren Vergangenheit, die den erläuterten Umbau nach 1946 zeigen. Wo ist/war der fünfte Rahmen. Und zuletzt hätte mich doch interessiert, wofür und mit welchem Ergebnis die Planer »tief in die Archive« eingestiegen sind.