„Es gibt ein Sprichwort, demnach die Belgier mit einem Ziegelstein im Bauch geboren werden“, sagt die Architektin Inge Vinck vom Büro Architecten Jan de Vylder Inge Vinck (Gent). Darin sieht sie einen Hinweis auf die ausgeprägte Umbaupraxis in Flandern. Das (Selber-)Bauen sei den Menschen in die Wiege gelegt, wobei die begrenzten Budgets nicht immer für einen Neubau reichten und dazu führten, dass vor Ort nach Kräften an- und ausgebaut würde. Einblick in diese Praxis ermöglicht das Buch Umbau Architektur in Flandern. Es portraitiert 24 Umbauprojekte der letzten 15 Jahre aus der Region.
Darunter sind kleinere und größere Wohnprojekte ebenso wie die Museumserweiterung in Hasselt und Verwaltungsbauten, die in der ehemaligen Logistikhalle eines Limonadenherstellers Platz finden. Aber auch Installationen und Freiraum-Architektur wie der begehbare Spiegelring, der in Brüssel zwischen zwei Bauten spannt, oder die Umnutzung einer Klinik-Ruine in Gent.
Warum der Blick nach Flandern über den besagtem Ziegelstein im Bauch hinaus lohnt, erläutert Baunetz-Autor Florian Heilmeyer. Er hat das Buch gemeinsam mit Detail-Chefredakteurin Sandra Hofmeister herausgegeben. Man habe sich, so Heilmeyer, in Flandern aufgrund einer besonderen baulichen Dichte sowie zahlreicher „Brüche, Kanten, Risse und Widersprüche - in den Städten wie auf dem Land“ längst an das Umbauen gewöhnt. Dazu bescheinigt er der Region eine „junge, höchst agile Architekturszene“, was sich seit Jahren auch in den Baunetz-Meldungen widerspiegelt.
Interviews ergänzen die Projektsammlung. Darin erzählen drei der beteiligten Architektinnen und Architekten in Bildern von tanzenden Partnern und „entkleideten“ Gebäuden von Herausforderungen und Pflichten Planender, die eigene Methodik im Umgang mit Bestand sowie ersten Annäherungen und Vorbildern. In ihrem Essay kontextualisiert Sofie De Caigny die Projekte in eine den Bestand wertschätzende, experimentelle Baukultur in Flandern, während Heilmeyer den Bezug zu aktuellen Diskursen und Forderungen nach einer Bauwende und Umbaukultur hierzulande herstellt.
Das Buch versteht sich als Aufforderung zur Auseinandersetzung mit dem Gebäudebestand und seiner kreativen Weiterentwickelung. Wir sollten uns eingestehen, „dass nicht jedes Gebäude erhaltenswert ist. Aber in den meisten Fällen wohl schon“, fasst es Architekt Paul Robbrecht im Interview zusammen. Sein Büro Robbrecht an Daem architecten (Gent) verantwortete die Sanierung des Bücherturms in Gent.
Text: Sophie Marthe
Umbau Architektur in Flandern
Florian Heilmeyer, Sandra Hofmeister (Hg.)
Deutsch/Englisch
232 Seiten
Edition DETAIL, München 2024
ISBN: 978-3-95553-630-5
Preis: 49,90 EUR
Zum Thema:
Dass Florian Heilmeyer ein Kenner der belgischen Architekturszene ist, zeigt auch das 2021 erschienene Buch Celebrating Public Architecture. Buildings from the Open Call in Flanders 2000-21.