Wenn ein Begriff schwer zu übersetzen ist, wird es interessant. Das englische Wort „booth“ ist ein solcher Begriff. Die einschlägige Übersetzungssoftware schlägt vor: Verkaufs- und Messestand, Kabine, Häuschen, Bude, Zelle, Tischnische oder Beichtstuhl. Es geht also um ganz unterschiedliche Objekte, aber immer um kleine, geschlossene Räume. Diesen hat der Architekt und Publizist Francisco Moura Veiga ein kleines Büchlein mit schlichtem, ganz in Schwarz gehaltenem Umschlag gewidmet: Typology of Intimacy. Emotional Catalog of Booths.
Als Buch setzt Typology of Intimacy den Schwerpunkt weniger auf die Objektivität des Typologischen, sondern vielmehr auf die Subjektivität der Intimität. Veiga bringt assoziative Bilder und Texte, setzt auf Poesie und nicht auf rationales Ordnungsdenken. Sein Buch ist Bestandteil einer Reihe geplanter architektonisch-künstlerischer Installationen, von denen bisher eine in Basel und eine in Weimar realisiert wurde. Dort betreibt der ortsansässige Verlag M Books seit kurzem auch eine Buchhandlung samt Galerie. Hier stellte Veiga Anfang des Jahres seine „Hiding Booth“ aus und hier publizierte er auch sein Buch.
Im Buch selbst hält sich Veiga eher zurück, fungiert klar als Herausgeber und übergibt anderen das Wort. Den Auftakt bildet ein kurzes Interview mit dem Psychoanalytiker und -therapeuten Vasco Santos, das in seinem theoretisierenden und assoziativen Ansatz den Tonfall für die weitere Diskussion des Themas im Buch setzt. Das anschließende Kapitel „Questions of Typology“ lässt acht Nutzer*innen unterschiedlicher „booths“ wie Messestand, Beichtstuhl, Wahlkabine oder Peep-Show zu Wort kommen. Die zweite Hälfte des Buches nennt sich „Emotional Catalog“ und präsentiert 31 ganz unterschiedliche, individuelle Beiträge von Architekten, Künstlern und Fotografen zum Thema.
Angesichts der ernsthaften künstlerischen und theoretischen Reflexion überraschen vielleicht die beiden Aufkleber, die dem Büchlein beiliegen. Sie zeigen Zeichnungen der zwei bisher realisierten „booths“, die Veiga in Basel und Weimar ausstellen konnte. Formal reproduzieren die Zeichnungen die berühmten typologischen Tafeln des klassizistischen Architekten Jean-Nicolas-Louis Durands aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die Typologie-Frage schlägt sich wiederum in den acht leeren Feldern auf den inneren Umschlagseiten des Buches nieder, in die man die bisherigen und hoffentlich noch kommenden Zeichnungen weiterer Ausstellungen einkleben kann. So trifft nicht nur Typologie auf Emotion, sondern auch Durands Strenge auf Panini-Sammelleidenschaft. Potentielle Sammler*innen sollten sich vormerken, dass die nächste Ausstellungsstation Lissabon sein wird. Dort wird der nächste Aufkleber verteilt.
Text: Gregor Harbusch
Typology of Intimacy. An Emotional Catalog of Booths
Francisco Moura Veiga (Hg.)
Gestaltung: Esther Lohri
Englisch
160 Seiten
M Books, Weimar 2022
ISBN 978-3-944425-25-2
23 Euro