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29.01.2020
Buchtipp: Architekturkritik als Instrument
Typisch Posener
„Architekturkritik wirkt!“ Mit diesem knappen Ausruf beendet Katrin Voermanek ihr Büchlein Typisch Posener. Das freut uns Kolleg*innen der schreibenden Zunft natürlich sehr. Der denkbar kurze Schlusssatz ist jedoch mehr als ein bloßes Bekenntnis zum geschriebenen Wort in Zeiten von Instagram. Vielmehr geht es der Autorin in ihrem pointierten Epilog darum, ihre weit in Details der Berliner Nachkriegsgeschichte hinein verästelte Publikation in einen breiteren Kontext zu stellen. Das ist klug, denn auch die interessierteste Berliner Leserin wird sich nach knapp 140 Seiten fragen, ob es wirklich nötig war, beispielsweise Julius Poseners Brief zu falschen Dachpfannen, mit denen das Haus Mohrbutter von Hermann Muthesius 1983 neu eingedeckt werden sollte, im Original zu lesen.
Aber man muss die vielen sorgfältig ausgewählten Zitate, an Hand derer Voermanek in ihrem Buch neun „Häusergeschichten“ erzählt, als Bausteine eines größeren Ganzen sehen. Denn seine Sprache war das entscheidende Werkzeug, mit dem der profilierte Achitekturkritiker, -historiker und Hochschullehrer Julius Posener (1904–96) immer wieder in das Berliner Architekturgeschehen eingriff. Und es war eben nicht irgendeine Sprache, sondern eine klare, verständliche und – man muss es so direkt sagen – sehr schöne Sprache, die seine Texte charakterisiert und bis heute lesenswert macht. Es ist also nur logisch, dass die Autorin über weite Strecken auf Briefstellen zurückgreift und diese mit ihren eigenen Überlegungen zu essayistischen Erzählungen verwebt, die in erster Linie von Poseners Kampf für den Erhalt historischer Bauten handeln – aber auch seine Kritik am Neubau der Neuen Nationalgalerie oder dem ICC. Ergänzt werden die neun Fallbeispiele um hoch informative Abschnitte zu Poseners Leben.
Poseners Einsatz für Hermann Muthesius, die Liebermann-Villa am Wannsee, das heutige Kunstquartier Bethanien oder Hans Poelzigs Kino Babylon quer gegenüber der Volksbühne haben sicherlich auch viel mit seiner bewegten Biographie zu tun. Er stammte aus einer gutbürgerlichen, jüdischen und musisch geprägten Familie, war begabt, aber lange Zeit wohl nicht besonders zielstrebig. Architektonisch sozialisiert wurde er bezeichnenderweise nicht im Zentrum Berlins, sondern im Villenvorort Lichterfelde, was seine zutiefst emotionale Affinität zu Muthesius und die englische Landhausarchitektur erklärt. Zur Architektur kam er eher nebenbei, und das einzige Haus, das er zeitlebens realisieren konnte, scheint kein Meisterwerk gewesen zu sein.
Nach dem Studium lebte er in Paris und ging dann nach Palästina. Schon damals arbeitete er abwechselnd als Zeichner in Architeklturbüros (unter anderem bei Erich Mendelsohn) und im publizistischen Bereich. 1941 meldete er sich freiwillig zur britischen Armee, kam 1946 zum ersten Mal wieder nach Berlin und landete schließlich in London, wo er fast zehn Jahre an einer wenig renommierten Schule lehrte und eine Familie gründete. Zunehmend frustriert wagte er 1956 einen radikalen Schnitt, zog weiter nach Kuala Lumpur und baute dort am Technical College die Architekturabteilung auf. Als sein Arbeitsvertrag auslief bewarb er sich erfolgreich um eine Professur an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin.
Posener kam 1961 in die geliebte Heimatstadt zurück, also just in dem Moment als die Mauer gebaut wurde, als Kahlschlagsanierung, großmaßstäblicher Planungsglaube und das Paradigma der autogerechten Stadt Praxis und Diskurs dominierten. Hier blühte er – knapp 30 Jahre nachdem er die Idylle der grünen Vororte hatte verlassen müssen – als Lehrer und Publizist auf, wurde zur kritischen Stimme, zum umtriebigen Autor und Briefeschreiber. Wer ihn persönlich kennen lernen durfte, war schwer beeindruckt von seinem Charisma. Alle anderen haben nun mit Typisch Posener eine aktuelle Publikation zur Hand, die sich kenntnisreich, mit viel Sympathie, aber ohne falsche Emotionalität dem Menschen Posener und seinen Bemühungen um das Erbe der Moderne in Berlin widmet.
Text: Gregor Harbusch
Typisch Posener
Katrin Voermanek
152 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2019
ISBN 978-3-86859-593-2
18 Euro
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