Auf der wohl berühmtesten Freitreppe der Welt kann man seit 2019 leider nicht mehr ausgiebig verweilen – und das hat ausnahmsweise nichts mit der Pandemie zu tun. Nach kostspieliger Restauration des UNESCO-Welterbes wurde es der Stadt Rom schlicht zu bunt: Der längere Aufenthalt auf den 136 Stufen, die die Piazza di Spagna mit der Kirche der heiligen Trinità dei Monti verbinden, ist bis auf Weiteres verboten und kann durchaus geahndet werden. Stattdessen jagte kürzlich erst ein US-amerikanisches Pärchen seine geliehenen E-Scooter die Treppe runter und ein saudischer Tourist bog mit dem gemieteten Maserati falsch ab, sodass das barocke Monument ordentlich Schaden nahm. All das sind wirklich keine schönen Entwicklungen für die 1725 erbaute „Spanische Treppe“ in Rom.
Dabei beeindruckt kaum ein Gestaltungs- und Erschließungselement im öffentlichen Raum mehr als eine Freitreppe. Sei es zur Überwindung von Höhenunterschieden im städtebaulichen Kontext, sei es für den Aufenthalt auf Plätzen, in Parks oder an Flussufern oder zur erhabenen Inszenierung von Portalen historischer Bauwerke: Eine nicht überdachte, exponierte Außentreppe strahlt immer Anmut und Offenheit aus. Seit jedoch die Beletage fast bis in den Keller rutscht, der Stadtverkehr auf motorisierte Räder setzt und der urbane oder begrünte Verweilraum nur zaghaft wieder Priorität einfordert, scheint auch die Freitreppe in den Schatten gerückt zu sein.
Die Integration der Stufe oder Rampe in die zeitgenössische Architektur hat also derzeit wieder Luft nach oben. Es muss nicht gleich die skurrile Treppe zum Selbstzweck sein, wie sie Heatherwick Studio in den Hudson Yards in New York baute, die Karikatur eines öffentlichen Freiraums wie das Dach der Häkelwippe in Budapest oder das „Pharaonengrab“ vor der Kunstakademie in Düsseldorf. Aber wir brauchen durchaus mehr Oslo (was sich BIG gleich mal in Prag zu Herzen genommen hat), mehr Rotterdam und endlich eine Freitreppe am Spreeufer in Berlin. (sab)
Titelbild: Treppen und Sitzstufen vor dem Saunarestaurant im finnischen Ähtäri von Studio Puisto. Foto: Marc Goodwin