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16.04.2020
Buchtipp: Identitäten einer Megacity
Tokyo. An Urban Portrait
So reich die japanische Hauptstadt an architektonischen und räumlichen Phänomenen ist, so vermessen scheint es auf den ersten Blick, ein Portrait der gesamten Metropolregion Tokio zeichnen zu wollen, die mit ungefähr 38 Millionen Einwohner*innen die bevölkerungsreichste urbane Agglomeration des Planeten darstellt. Genau dies versucht die neue Publikation Tokyo. An Urban Portrait der Architektin und Stadtplanerin Naomi C. Hanakata – und geht dabei methodisch so überzeugend vor, dass tatsächlich ein hochinformatives Buch entstanden ist, das diesen Anspruch erfüllt.
Zuerst erkennt Hanakata, die sowohl in Tokio als auch in Deutschland gelebt hat, die radikale Zeitlichkeit der japanischen Metropole an. Sie beruht auf einer ununterbrochenen morphologischen Transformation und lässt sich deshalb mit westlichen Stadtkonzepten, einem historischen Kern und bleibenden Monumenten, um die sich eine moderne Entwicklung vollzieht, nur bedingt fassen. Darauf aufbauend beleuchtet sie ihren Untersuchungsgegenstand in unterschiedlichen Maßstäben und geht in ihren Analysen immer wieder detailliert auf die Strukturen einzelner Stadtviertel ein.
Hanakata siedelt ihre Studie an der Schnittstelle von Architektur und Sozialwissenschaften an und beruft sich auf räumlich denkende Theoretiker wie Henri Lefebvre und David Harvey. Im Fokus stehen auch Praktiken des Alltags, die die Konfiguration der Räume mitgestalten. Themen wie die Verbundenheit mit Grund und Boden kommen ebenso zur Sprache wie das zivilgesellschaftliche Engagement und die besondere Relevanz immaterieller Güter für die japanische Gesellschaft.
Im Zentrum der Publikation steht die Strategie, die Blickwinkel so zu wählen, dass gerade die Unterschiede innerhalb der Metropolregion deutlich werden. Hanakatas These von Tokio als Ort „produktiver Instabilitäten“ lässt dabei an Kazuo Shinoharas Prinzip der „progressiven Anarchie“ denken. Wie aber entstehen in einer derartigen urbanen Großformation individuell ausgestaltete Nachbarschaften und Stadtviertel mit jeweils ganz eigener Atmosphäre? Im Falle Tokios sind es zuerst einmal die kleinsten Einheiten, sprich die einzelnen Gebäude, die unterschiedliche Identitäten schaffen. Über die materiell sichtbaren Zeichen hinaus werden sie aber insbesondere durch die soziale Produktion kontinuierlich neu geformt. Im Sinne von Ruth Fischer und Jane M. Jacobs versteht Hanakata die Suche nach den Unterschieden der Stadt deshalb auch als politisches Instrument: Die Bewusstmachung der Konstruktion von Identität(en) relativiert Normativitäten, legt Machtverhältnisse offen und hilft marginalisierten Gruppen, ihre Rechte einzufordern.
Text: Alexander Stumm
Tokyo: An Urban Portrait
Looking at a Megacity Through Its Differences
Naomi C. Hanakata
336 Seiten
Englisch
Jovis Verlag, Berlin 2020
ISBN 978-3-86859-575-8
35 Euro
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Hunderte Fotos, Grafiken und historische Zeichnungen illustrieren die jahrelange Forschung der Autorin.
Zudem beleuchten thematische Karten unterschiedliche Aspekte des Toyko Metropolitan Complex.
Buchcover
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