Von Stephan Burkoff und Jeanette Kunsmann
Das wäre an allen anderen Orten undenkbar: Eine Stadtverwaltung, in der kein Mitarbeiter einen festen Schreibtisch hat und über der sich 84 Apartments in die Höhe würfeln. Heute wird in Rotterdam das Timmerhuis offiziell eröffnet, mit dem OMA das Jahr 2015 für sich abschließt und in Rotterdam eine neue Richtung für die Stadtentwicklung einläutet. Denn anders als die vielen solitären Türme des „Manhattan an der Maas“, die sich, wie auch das De Rotterdam, selbst inszenieren, stellt das Team um OMA-Partner Reinier de Graaf mit seiner Pixelwolke für das Timmerhuis das Dazwischen in den Mittelpunkt.
Dieses Dazwischen beginnt bereits mit dem Verhältnis des Neubaus zum Bestand. Mit dem Timmerhuis ersetzen OMA eine schnell und schlecht gebaute Erweiterung aus den Siebzigerjahren und kuscheln sich an die 60 Jahre alten Mauern des Stadtimmerhuis an. 1954 errichtet, wurde von hier aus der Wiederaufbau von Rotterdam geplant. Die weiße Stahlkonstruktion trifft auf den Beton der Nachkriegsmoderne, bildet eine Ergänzung und geht als Ganzes und im Detail einen Dialog ein.
Von außen sieht man dazu zunächst wenig, die Fassade lässt kaum Rückschlüsse zu, wie sich die kubistische Struktur nach innen abbildet. Während das nackte Gittermodell der Konstruktion eher an die Ideen der Strukturalisten oder Sou Fujimotos Serpentine Pavillon erinnert, hüllt sich das Timmerhuis in eine Rasterfassade, die von hellblau bis tiefgrau alle Facetten des Himmels über Rotterdam aufnimmt. Das Timmerhuis verschwindet und hat, wie von Zauberhand, trotzdem eine starke Präsenz.
Reinier de Graaf, der unter anderem von Plattenbauten und ihrer Systematik begeistert ist, manifestiert mit diesem Projekt seine Faszination für generische Architektur. Mit einigen wenigen vorgefertigten und standardisierten Elementen galt es, eine möglichst große Vielfalt zu schaffen. Die Stahlkonstruktion, mit der Architekten und Bauherr viel Zeit und somit auch Budget sparen konnten – sie war nach nur neun Monaten fertiggestellt – erlaubte umso mehr Freiheit im Entwurf. Da – für OMA typisch – eine öffentliche Passage im Erdgeschoss Bedingung der Architekten war, schwebt die Stahlwolke über dem Boden, aufgehängt an zwei Turmkonstruktionen, die den Bau wie eine Brücke tragen. Mit diesem Entwurf, der insgesamt eine Fläche von 48.400 Quadratmetern umfasst, hatte OMA 2009 den Wettbewerb für sich entschieden.
Betritt man das Gebäude durch einen der Eingänge, wird die von außen erwartete Rasteranmutung aufgebrochen. Große Atrien schieben sich in die Struktur, eine Treppentopographie aus Holz führt zum Empfang. Was man in diesem Verwaltungsgebäude nicht findet: Lange Gänge, dunkle Flure, kleine Einzelbüros. Wonach man lange suchen muss, sind die Fahrstühle. Diese haben die Architekten gut versteckt, stattdessen verbinden Treppenaufgänge die Ebenen – Gesundheitsprävention einerseits, ein Begegnungsort andererseits. Die von der Stadt genutzten Etagen werden durch verschiedene Bodenbeläge gegliedert: Gebürstete Aluminiumplatten markieren die öffentlichen Bereiche, Holzböden die Abteilung der Verwaltung. Die 1.800 Angestellten müssen sich auf 1.200 Schreibtische aufteilen, was durch Teilzeitbeschäftigung und Home-Office-Lösungen gelingt. Wer einen bestimmten Schreibtisch haben will, muss früh aufstehen. Hier gilt: First come, first serve.
OMA interpretiert den städtischen Verwaltungsapparat als einen dynamischen und demokratischen Organismus und reagiert damit auf die Vorgaben des Bauherren. In Rotterdam ist man in punkto Bürokratie Avantgarde: Alles ist digital, es gibt kaum noch Papier. Jedem Mitarbeiter stehen ein halber Meter Schrank zur Verfügung, der zur einen Seite verglast ist, für den täglichen Bedarf stehen Schließfächer in gelb leuchtenden Kuben bereit. Das gesamte Interieur würde ebenso gut zu Google oder G-Star passen. Offene Einbauküchen, eigens bedruckte Teppiche und die für OMA so typischen Vorhanggebilde, die kleine Inseln abtrennen, schaffen ein Gefühl von Zuhause, während Bürostühle eindeutig den Arbeitsalltag repräsentieren – eine Zwischenwelt aus Wohnen und Arbeiten.
Darüber stapeln sich 84 wirkliche Wohnungen, von der keine der anderen gleicht. Die 84 Grundrisse mussten die Architekten für den Bauherren in zehn Kategorien ordnen, so viel Individualität hätte den Vertrieb wohl überfordert. Mit einem Quadratmeterpreis ab 3.000 Euro sind im Timmerhuis längst alle Wohnungen verkauft, mit Apartmentgrößen zwischen 54 und 350 Quadratmetern waren sowohl Singles, Paare und Familien Zielgruppe. Und auch ein paar Mitarbeiter der Stadtverwaltung haben zugeschlagen – was dem Begriff Heimarbeit eine völlig neue Bedeutung gibt.
Reinier de Graaf hat zusammen mit den assoziierten Architekten Alex de Jong und Katrien van Dijk, die mit Saskia Simon die Innenräume der Büroflächen gestaltet hat, viel experimentiert – was durchaus mutig ist, denn für OMA ist das Timmerhuis ein umgekehrtes Heimspiel. Anders als im Sport stehen Architekten zuhause unter besonderer Beobachtung. Wenn Sie scheitern, gibt es kein Rückspiel. Ob diese Form der Architektur wegweisend für die weitere Entwicklung Rotterdams sein kann, entscheidet sich nicht mehr in dieser Saison.
Fotos: © OMA, Sebastian van Damme, Ossip van Duivenbode
Zum Thema:
www.timmerhuisrotterdam.nl
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a_C | 15.12.2015 10:43 Uhr"'Gut gemeint' ist das Gegenteil von 'gut gemacht'..."
Von außen betrachtet macht das Gebäude schon einiges her. Stadträumlich finde ich den Entwurf gelungen. Schade nur, dass die innere Aufteilung, die Verschneidung der Nutzungen, die Durchwegung des EGs und die Innenräume - insbesondere das Atrium - qualitativ überhaupt nicht mithalten können. In der Beziehung ist das Gebäude gescheitert, und daher auch seine ganze Idee...