Es sind nicht mehr viele, aber noch gibt es in Berlin hier und dort kleine Stadt-Inseln, wo einst die Mauer verlief, im Dornröschenschlaf einer innerstädtischen Peripherie. Dazu gehört ganz sicher die Gegend um den Moritzplatz zwischen Kreuzberg und Mitte, die trotz Prinzessinnengärten, Ritter-Butzke und Aufbau-Haus bis vor Kurzem noch immer den Charme eines suburbanen Gewerbegebiets mit Tankstellen, Autoverleih und Parkplätzen versprühte. Das ändert sich jetzt: Ganze neun Bürogebäude von sieben verschiedenen Bauherren sind im Entstehen. Eines davon war die Gewerbe-Baugruppe von BCO-Architekten, die 2020 fertig wurde, zwei weitere sind die gold und silbrig schimmernden, großen Neubauten links und rechts der Prinzenstraße von Kadawittfeld und Eike Becker. Ein weiteres Projekt ist die gerade erst fertig gestellt Sanierung von zwei älteren Etagenfabriken plus Neubau an der Prinzessinnenstraße, die Thomas Hillig Architekten (Berlin) für die seit 2007 privatisierte Gewerbesiedlungs-Gesellschaft (GSG) geplant haben. Die beiden Altbauten wurden für die Sanierung komplett leergezogen, sodass hier insgesamt 8.600 Quadratmeter Bruttogrundfläche neu vermarktet werden konnten.
Die Geschichte der beiden Bestandsbauten ist typisch für die Gegend: Den ältere Teil aus dem Jahr 1905 bildet eine Kreuzberger Etagenfabrik mit hohen Räumen, Segmentbogenfenstern und einer differenzierten Fassade aus weißen Backsteinen und gehörte einst zu einem engen Hinterhofgeflecht. An die nördliche Brandwand hatte die GSG um 1976, damals noch in städtischem Besitz, einen gestaffelten Neubau gesetzt. Das Vorderhaus wurde abgetragen und in einen Parkplatz verwandelt. Die gestiegene Nachfrage nach Büroflächen ließ die GSG nun neu bauen; für das Workshopverfahren 2016 waren fünf Büros eingeladen.
Nach den Entwürfen von Thomas Hillig ist an der Straße ein sechsgeschossiger Riegel mit 3.000 Quadratmetern Bruttogrundfläche entstanden, der sich klar als Bürohaus zu erkennen gibt. Wie ein Regal strukturieren die Betonfertigteile vor den Etagendecken den horizontalen Aufbau, dazwischen laufen die Glasfassaden raumhoch durch. Über dem Erdgeschoss beginnen sich die Fassadenflächen zu falten, sodass der Blick von innen einerseits in Richtung Moritzplatz, andererseits in Richtung Segitzdamm fällt. Von außen sorgt das für abwechslungsreiche Reflektionen, gestalterisch spielen die Architekten mit dem Motiv des Sheddachs, das über der obersten Etage sitzt. „Die Regelgeschosse sind als flexible Großraumeinheiten zur Büronutzung angelegt, das Dachgeschoss ist aufgrund seiner Höhe und der Belichtung über das Sheddach auch als Atelier nutzbar“, schreiben die Architekt*innen. Das Treppenhaus konnte als offene Konstruktion an die Rückseite angesetzt werden; durchlaufende Balkone ergänzen das Raumangebot. Die Teeküchen der Büros öffnen sich zum Beispiel direkt zu den diesen Plattformen, die so genutzt und belebt werden. Die beiden sehr unterschiedlichen Altbauten wurden saniert und modernisiert.
Gestalterisch betonen die Architekten die Unterschiedlichkeit der drei Gebäude: Während die Klinkerfassade des Gründerzeitbaus saniert wurde, musste die Fassade des 1970er-Jahre-Baus weichen. Erhalten blieben jedoch die Strukturen der alten Hülle mit ihren schlanken, hohen Lisenen und den vergleichsweise schmalen Fensterbändern. Das blau-weiße Farbenspiel wurde durch eine neue Hülle aus unverwittertem Cortenstahl ersetzt, der jetzt, da die Platten etwa ein Jahr hängen, angefangen hat, die typische Patina zu entwickeln. Fensterprofile und Putzflächen an diesem Gebäudeteil sind in einem darauf abgestimmten Rotton gehalten. Erstmals ist jetzt die Dachterrasse auf diesem Haus als Gemeinschaftsfläche begehbar.
Das neue Vorderhaus führt mit seiner Sägezahn-Fassade aus Beton, Metall und Glas die Betonung der Unterschiede fort. Im ersten Hof prallen die drei Gebäude von 1905, 1976 und 2021 unmittelbar aufeinander: Der Cortenstahl, die weiße Klinkerfassade, das Betonregal mit seinen gefalteten Fensterbändern. Die Hofräume dazwischen sind hingegen – gemeinsam mit hochC Landschaftsarchitekten (Berlin) – zusammenhängend gestaltet. „Es war uns wichtig“, erzählt Thomas Hillig, „die Höfe als Aufenthaltsbereiche zu gewinnen.“ So konnte die Bauherrin überzeugt werden, auf Parkplätze zu verzichten und stattdessen Fahrradstellplätze, Sitzgelegenheiten, Pflanzentröge und kleine Terrassenlandschaften anzulegen. Eingelassene Steckdosen machen die Höfe als erweiterte Arbeits- oder Besprechungsräume nutzbar. Befänden wir uns nicht gerade mitten in der Corona-Krise, man könnte sich ein munteres Büroleben auf diesen Höfen im roten Schimmer des Cortenstahls ganz gut vorstellen.
Die Nettobaukosten (KG 200-500) geben die Architekten mit 10,6 Millionen Euro für die Sanierung des Bestandes und 6,75 Millionen Euro für den Neubau an. Alle drei Gebäude sind übrigens bereits zu 100 Prozent vermietet, auch wenn derzeit unklar ist, wie die Firmen durch die Covid-Krise kommen. Für das Vorderhaus wird derzeit im Internet von einem Zwischenanbieter eine Miethöhe von 27 Euro pro Quadratmeter abgefragt. Ein Coworking-Unternehmen hat nämlich die gesamte Immobilie gemietet und vermietet die Einheiten lang- wie auch kurzfristig einzeln oder als ganze Etagen weiter. Einen eigenen Tisch gibt es laut Webseite des Anbieters ab 330 Euro pro Monat. (fh)
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STPH | 25.02.2021 08:13 UhrRaum als Gefühl
Faszinierend immer wieder die Hofkultur mit ihren spezifischen Atmosphären. Ein Riesenanlass für Gestaltung. Hier ist wirklich Raum Gefühl. Platz für mehr Gefühl als auf den objektivierbareren Straßen. Und das im nördlichen Berlin. Mehr subtiles Farbleuchten. Farbe ist die Sonne des Nordens.