Polykatoikia – klingt auch für diejenigen zunächst fremd, die schon mal in Griechenland gewesen sind. Versucht man jedoch, das Wort morphologisch zu zerlegen, fällt es leichter. Aus poly – mehr, und katoikia – Wohneinheit, wird ein Mehrfamilienhaus. Merkwürdigerweise ist das fünf- bis zehnstöckige Haus eine Adaption des „Dom-Ino“-Systems von Le Corbusier, durch das Athen im 20. Jahrhundert in „zum Meer aus weißen Kuben“ wurde. Und so sind es weniger die berühmte Akropolis oder andere antiken Bauten, sondern die Polykatoikia, die die griechische Hauptstadt dominieren.Neben Eigentums- und Mietwohnungen nehmen sie auch Supermärkte, Büros, Kliniken, Läden, Callcenters, Salons, Sprachschulen und andere öffentliche Funktionen auf.
Die Erfolgsgeschichte der Polykatoikias ist vor allem mit der Einfachheit und Flexibilität des Betonskeletts zu erklären, das an griechische Tempel erinnert – und mit der Gesetzeslage. Das sogenannte Antiparochi-Abkommen zwischen Grundstücksbesitzer*innen und Baufirmen hat die Bautätigkeit im Stadtzentrum und in der Peripherie unkontrolliert beschleunigt. Wieviele Einheiten eine Polykatoikia beheimatet, welche öffentliche Funktionen sie aufnimmt, wie groß einzelne Bereiche sind und wie die Grundrisse organisiert werden, ist unterschiedlich und wird immer wieder auch angepasst.
Die Polykatoikia zu untersuchen bedeutet auch, die Entwicklung der griechischen Städte zu untersuchen. Das meint der Berliner Architekt Richard Woditsch, der zu diesem Thema promovierte und nun einen Sammelband bei Park Books herausgab. Unter dem Titel „The Public Private House – Modern Athens and Its Polykatoikia“ nehmen sieben Autor*innen das für griechische Großstädte charakteristische Phänomen unter die Lupe. Die Essays aus historischer, urbaner, typologischer und ökonomischer Sicht werden durch eindrucksvolle Fotos, Karten und Grafiken veranschaulicht.
In ihrem Essay „Mutually Generative“ beschreibt die Autorin Alecsis P. Rodi die Transformation Athens „von einem Dorf in eine Hauptstadt, von einer osmanischen Siedlung in eine neoklassizistische Stadt, von einer modernistischen Stadt in eine zerstreute Metropole“. Die Aspekte dieser Entwicklung werden in fünf Kapiteln dargelegt und anhand von zwölf ausgewählten Fallbeispielen fotografisch und grafisch analysiert. Die umfassende Sammlung ermöglicht es den Leser*innen, sich der Spezifik und Komplexität dieses griechischen Mehrfamilienhauses zu nähern.
Text: Mariam Gegidze
The Public Private House. Modern Athens and Its Polykatoikia
Richard Woditsch (Hg.)
272 Seiten
Englisch
Park Books, Zürich 2018
ISBN 978-3-03860-084-8
48 Euro