Hitzewellen und Waldbrände, starke Regenfälle und Überschwemmungen, das Abschmelzen von Arktis und Gletschern – die Folgen des Klimawandels sind inzwischen für alle sichtbar. Die Frage ist: Wie reagieren wir auf diese Situation? Vertreter*innen von Umweltschutzbewegungen fordern seit Jahrzehnten die Reduktion von Treibhausgasemissionen, den Schutz der Biodiversität sowie die Einhegung umweltbelastenden Handelns von Industrie und Landwirtschaft.
Daneben gibt es die Fraktion der Ökomodernisten. Auch sie erkennen den Klimawandel an, ziehen daraus jedoch vollkommen andere Schlüsse und vertreten die Meinung, dass die Menschen im Zeitalter des Anthropozäns durch technologische Entwicklungen auf planetarem Maßstab zu aktiven Gestalter*innen des Erdsystems werden müssen, um den Folgen der Klimaerwärmung entgegenzuwirken. Ihr Werkzeug ist das Geoengineering.
Die Graphic Novel The Planet After Geoengineering spekuliert, wie sich unser Planet nach dem umfassenden Eingriff durch den Menschen darstellen würde. Als Autor tritt das Kollektiv Design Earth unter Federführung von Rania Ghosn und El Hadi Jazairy auf. Die Arbeit entstand im Auftrag der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, wo sie in Form von 25 großformatigen Bildern ausgestellt und als Videoprojektion gezeigt wird. Für die Publikation wurden die Bilder in kleinere Ausschnitte geteilt. Durch die lineare Abfolge sowie in Kombination mit kurzen Texten ergibt sich eine stärkere narrative Ausrichtung.
Die fünf Kapitel erzählen ökomodernistische Zukunftsvisionen. So setzt sich das Kapitel „Arctic Albedo“ mit der sogenannten Albedo-Rückkopplung auseinander: Da helle Oberflächen mehr Sonnenlicht reflektieren als dunkle, erhitzt sich die Arktis bei zunehmender Eisschmelze, die zu mehr dunkler Wasseroberfläche führt, doppelt so schnell wie die Erdatmosphäre. Das führt zu verstärktem Schiffsverkehr und einem regelrechten Run auf die Arktis. Parallel dazu führt das Auftauen des Permafrosts zur Freisetzung von gebundenem Kohlenstoff. Um den weißen Pol nun mittels Geoengineering wiederherzustellen, wird Meerwasser auf schwimmende Strukturen gepumpt, die künstliche Gletscher bilden. Methanfressende Bakterien wandeln das aus Boden und Wasser aufsteigende Treibhausgas in biotechnologische Anwendungen um. Pferde, Bisons und aus dem Permafrost aufgetaute und geklonte Wollmammuts werden ausgesetzt, um die gigantischen Grasflächen zu bewirtschaften. Eine Sendeanlage fängt die Methanemissionen in einer riesigen Schneekugel auf. Antennen senden wiederum hochenergetische Strahlen aus, um das Methan in reinen Kohlenstoff und Wasserstoff zu ionisieren.
Bereichert wird die Publikation durch drei lesenswerte Kurzessays. Kathryn Yusoff beleuchtet, wie Geoengineering neue Modelle des Denkens über die Erde hervorgebracht hat und welche neuen Themen, etwa eine „Gouvernementalität der Erdsysteme“, damit einhergehen. Die Londoner Professorin für Inhuman Geography lieferte vor zwei Jahren mit A Billion Black Anthropocenes or None eine der prägnantesten Kritiken der von weißen Männern dominierten Anthropozän-Debatte, die strukturelle Rassismen ausblendet. Holly Jean Buck historisiert die Idee eines einfachen „Techno-Fix“ des Erdsystems und verweist zum Beispiel auf das Projekt Biosphere II, das in den frühen 1990er Jahren in der Wüste Arizonas eine künstliche Biosphäre erzeugen wollte – und kläglich scheiterte. Benjamin Bratton fragt schließlich danach, was von wem wo wann und warum beim Geoengineering manipuliert wird.
Text: Alexander Stumm
The Planet After Geoengineering
Design Earth (Rania Ghosn und El Hadi Jazairy)
112 Seiten
Englisch
Actar Publishers, Barcelona 2021
ISBN 9781948765961
27 Euro