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20.11.2024
Buchtipp: Ursprünge einer Typologie
The Barrack 1572–1914
Der Begriff Baracke weckt oft Assoziationen an Provisorien, Soldatenlager und Kriegsnot. Dass die Geschichte der Baracke schon über 450 Jahre zurückreicht, ist kaum bekannt und durchaus überraschend. Vielleicht weil die Ereignisse des letzten Jahrhunderts gedanklich überwiegen? Der Architekturhistoriker Robert Jan van Pelt beleuchtet in seiner Publikation The Barrack, 1572–1914: Chapters in the History of Emergency Architecture die Geschichte dieses Bautyps im Detail und zeigt auf, wie aus den ersten einfachen Unterkünften ein industrialisiertes Produkt wurde.
Anhand von über 250 Fotografien, Zeichnungen, Malereien und Axonometrien illustriert das Buch die Entwicklung von Konstruktion, Materialverwendung, Dimensionierung und Bauteilfügung. Van Pelt unterteilt seine Arbeit in zwölf Kapitel, die historische Ereignisse wie Kriege, Kolonialisierung und Epidemien beleuchten – stets mit dem Fokus auf die Entwicklung der Baracke. Er beschreibt die Baracke passend als „child of war“, da ihre Evolution eben maßgeblich von weltpolitischen und militärischen Geschehnissen beeinflusst wurde. Untermalt wird die Erläuterung von Zeitzeugenberichten und thematisch passenden Passagen von Philosoph*innen wie Hannah Arendt oder Friedrich Nietzsche.
Die Reise beginnt 1572, als spanische Soldaten das niederländische Haarlem besetzten. Die Kälte zwang sie, statt in Zelten in improvisierten Holzstrukturen Schutz zu suchen. Der Begriff „barracas“ stammt aus dieser Zeit und stand für einfache Schutzhütten. Die Konstruktion war schlicht und diente vornehmlich militärischen Zwecken. Im 19. Jahrhundert wurde die Produktion der Baracke industrialisiert. Modulare Bauteilsets wurden entwickelt, die es ungelernten Arbeitskräften, meist Soldaten, ermöglichten, die Baracken schnell auf- und abzubauen sowie leicht zu transportieren. Als technischer Durchbruch beworben, erlaubte es die Standardisierung, in kurzer Zeit Unterkünfte für Tausende zu errichten.
So führt das Buch durch verschiedene historische Konflikte wie den Deutsch-Dänischen Krieg, die Napoleonischen Kriege und den Amerikanischen Bürgerkrieg. Dabei hangeln sich die Erzählungen immer an der konstruktiven und regionalen Entwicklung der Baracke entlang. Die Publikation erläutert, wie die Krankenhausbaracke in Zeiten von Cholera und Pocken an Bedeutung zunahm oder wie sich der Krankenhausbau an den temporären Strukturen orientierte.
Die Studie endet 1914, da sich die Funktion der Baracke mit dem Ersten Weltkrieg fundamental änderte. Von der Notunterkunft wurde sie zur Zwangsbehausung, was eine weitaus dunklere Phase ihrer Geschichte einleitete. Van Pelt schließt bewusst hier, um sich auf den Ursprung und die früheren Verwendungszwecke zu konzentrieren. Dass in der Zukunft ein zweiter Band erscheint, der den Niedergang der Baracke dokumentiert, schließt er nicht aus.
Text: Gertje Koslik
The Barrack 1572–1914: Chapters in the History of Emergency Architecture
Robert Jan van Pelt
524 Seiten
Englisch
Park Books, Zürich 2024
ISBN 978-3-03860-365-8
48 Euro
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Krankenhausbaracke von Christoph & Unmack, 1895
William Simpson, „Huts and Warm Clothing for the Army“, 1855
Isometrie des neuen Kriegsgefangenenlagers in Camp Douglas, Chicago, 1865
Nikolai Kuz'mich Reizman (oben) und Dorimedont Dorimedontovich Sokolov (unten), Preisträger des 1877 von der Sankt Petersburger Architektengesellschaft ausgeschriebenen Wettbewerbs für eine vorgefertigte tragbare Baracke, Zodchii, 1877
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