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04.06.2019

Buchtipp: Hosen, Gurken und Käsereiben

The Age of Spectacle. Rise and Fall of Iconic Architecture


Eine Twitter-Meldung der Tageszeitung The Telegraph brachte den britischen Architekturhistoriker, Kritiker und Journalisten Tom Dyckhoff auf die Idee für sein erstes Buch The Age of Spectacle. Rise and Fall of Iconic Architecture: „British-Designed Skyscraper Resembles Big Pants, Say Angry Chinese“. Gemeint war das 2016 in der chinesischen Millionenmetropole Suzhou fertiggestellte Doppelhochhaus Gate of the East, entworfen vom alteingesessenen britischen Büro RMJM. In seiner Anfangsphase in den 1950er-Jahren noch für bodenständige, modernistische Nutzarchitektur bekannt, setzt das Büro heute auf spektakuläre Außenwirkung statt auf trockene Funktionalität. Beim chinesischen 74-Geschosser in Form eines langgezogenen Tores, der als moderne Entsprechung des Arc de Triomphe gedacht war, wurden die metaphorischen Stellschrauben aber offensichtlich etwas zu weit gedreht: Verärgert, spöttisch oder amüsiert assoziieren Betrachterinnen das Gebäude nun eher mit einer gigantischen Unterhose als mit einem dynamischen Eingangstor in die Stadt.

Die Sache ist kein Einzelfall. Allein in London, wo Dyckhoff lebt, findet sich eine ganze Armada ähnlich auffälliger Bauten mit skurrilen Spitznamen, vom Gherkin (offiziell 30 St Mary Axe von Norman Foster) über den Cheesegrater (Leadenhall Building von Richard Rogers) und das Walkie-Talkie (20 Fenchurch Street von Rafael Viñoly) bis zur Scherbe (The Shard von Renzo Piano). Doch obwohl die sogenannten Landmarken und Leuchttürme mittlerweile selbst in Provinzstädten wie Pilze aus dem Boden schießen, gibt es bisher noch erstaunlich wenig Literatur zur inflationären Ausbreitung ikonischer Architektur und ihren Folgen für das Stadtbild – so die Feststellung Dyckhoffs bei seinen Recherchen zum Thema. Dies nahm er zum Anlass, um mit seinem 2018 erschienenen Buch dem „iconic movement“ endlich näher auf den Grund zu gehen.

In neun Kapitel begibt sich Dyckhoff auf eine Reise durch die letzten 60 Jahre westlicher, vorwiegend britischer und amerikanischer Stadtentwicklung: von den Shrinking Cities der Deindustrialisierung über die „Neuerfindung“ des urbanen Raums als Marke bis hin zum zeitgenössischen „Wowhaus“ – dem Konsumentenparadies mit permanentem Eventcharakter. In anekdotenreichem Plauderton erzählt der Autor drei Transformationsgeschichten, die veranschaulichen, dass Ökonomie, Politik und Architektur wie Zahnräder ineinandergreifen. Er beschreibt die Veränderung des öffentlichen Stadtraums und seiner Akteure seit den 1950er Jahren infolge des globalen Neoliberalismus, er schildet die wundersame Wandlung von Architekten zu „Starchitekten“ und schreibt schließlich über die Folgen des Ganzen: Waren Bürohochhäuser oder Kulturzentren noch vor wenigen Jahrzehnten vor allem darauf ausgelegt, gut zu funktionieren, sollen sie heute möglichst spektakulär „performen“.

Das Buch führt in einem Rundumschlag und mit vielfältiger Bezugnahme auf Gedanken zahlreicher Stadtkritikerinnen wie Jane Jacobs, David Harvey oder Guy Debord noch einmal vor Augen, was passiert, wenn nicht mehr die öffentliche Hand über die Gestaltung der urbanen Umwelt entscheidet, sondern private Investoren. Dyckhoff beschreibt die millionenteuren „Show-Buildings“ als logische Konsequenz einer marktgetriebenen Ökonomie, deren hart umkämpfte Währung die Aufmerksamkeit ist.

Ein Ende dieses Spektakels, dessen Faszination er sich trotz aller Kritik nicht ganz entziehen kann, erkennt Dyckhoff nicht, auch wenn der Untertitel seines Buches anderes verspricht. Seine These: Viele „Starchitekten“ von heute haben die sozialen und politischen Ansprüche der Moderne weit hinter sich gelassen und sich im Gefolge der Ökonomie neu erfunden – ebenso wie die unternehmerische Stadt, an der sie bauen. Anstatt deren Prinzipien zu hinterfragen oder herauszufordern, sind sie zu ihren Apologeten geworden.

Text: Diana Artus

The Age of Spectacle. The Rise and Fall of Iconic Architecture

Tom Dyckhoff
378 Seiten
Englisch
Windmill Books/Penguin Random House, London 2018
ISBN 9780099538233
9,99 Euro


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