Ein Grund für die Geringschätzung, die der postmodernen Gestaltung in den Achtzigerjahren von ihren Widersachern entgegengebracht wurde, lag in ihrer vermeintlichen Seichtheit. Demgegenüber mag das Unbehagen, das sie heute auslöst, eher dem Eindruck geschuldet sein, dass sie völlig verkopft ist. Dankenswerterweise hat sich der 1936 geborene Architekt, Theoretiker, Historiker und Kritiker François Burkhardt über Jahrzehnte hinweg bemüht, in zahlreichen Aufsätzen und Vorträgen Aufschluss über die Postmoderne zu geben. Dabei ist er freilich nicht der Einzige gewesen. Angesichts der lesenswerten Neuveröffentlichung seiner Texte unter dem Titel Gestalten. Für eine interdisziplinäre, ethische und kulturelle Politik in Design und Architektur stellt sich deshalb die Frage, wie sich seine Auffassungen von denen seiner Kolleg*innen unterscheiden.
Mit Heinrich Klotz – der das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main 1984 mit der Ausstellung „Revision der Moderne“ eröffnete – verbindet Burkhardt die Auffassung, dass die Postmoderne keineswegs als Bruch zu verstehen sei. Vielmehr versteht er sie als Bestreben, an die „positiven, weittragendsten Ansätze der Moderne“ anzuknüpfen. Dabei macht Burkhardt allerdings deutlich, dass er eine formalästhetische Annäherung für wenig sinnvoll erachtet: „Postmoderne ist kein Stil; sie umschreibt ein gesellschaftliches Phänomen, dem wir alle ausgesetzt sind.“
Darin ähnelt sein Verständnis dem, das Fredric Jameson in seinem Aufsatz „Postmodernism, or the Cultural Logic of Late Capitalism“ (ebenfalls 1984) vorgestellt hatte. So wie die Ökonomie dem Menschen entwachsen sei, so erklärte der amerikanische Marxist mit Blick auf John Portmans atemberaubende Atrien, fänden sich im postmodernen Hyperspace auch die menschlichen Wahrnehmungsweisen ignoriert. Burkhardt hingegen hält sich an eine Architekturpostmoderne im engeren Sinne, wie sie etwa das Werk von Robert Venturi und Denise Scott Brown bestimmt. Da seine oppositionelle Haltung auf der Technokratiekritik eines Herbert Marcuse gründet, wird verständlich, weshalb er „Komplexität und Widerspruch“ ein emanzipatorisches Potenzial beimisst.
Wenn Burkhardt den Vorwurf der „egoistischen Selbstdarstellung“ erhebt, gilt dieser mitnichten den postmodernen Baukünstler*innen, um sich stattdessen gegen die Architekt*innen des Funktionalismus (und ihre Auftraggeber*innen) zu richten. Zwar gibt er zu, dass die Designer*innen der Postmoderne im Bemühen, „vom gewollt Eigentlichen zur Vielfalt“ zu gelangen, nicht selten ihre eigene Lebensweise zur Entwurfsgrundlage gemacht hätten. Statt aber in Ada Louise Huxtables Kritik an einer postmodernen Selbstbezogenheit einzustimmen, stellt er die Orientierung an den eigenen Bedürfnissen als das Symptom eines notwendigen „Übergangsstadiums“ dar. Dementsprechend scheint Burkhardts Postmoderne auch nicht mit den Achtzigerjahren zu enden. Ohne dass er das P-Wort gebraucht, muten etwa die Schilderungen zum Regionalismus eines Gion Caminada wie Fortführungen der früheren Beobachtungen an.
Dass Burkhardt von architektonischen Äußerlichkeiten absieht, erlaubt ihm aber nicht allein Brückenschläge in die Gegenwart. So erklärt er, dass die Wiederentdeckung Jože Plečniks vor vier Dekaden nicht als Zufall gelten könne. Ganz wie die Werke der Postmoderne sei das Schaffen des slowenischen Architekten nicht nur durch eine „Tendenz zum Pluralismus“ bestimmt, sondern durch den persönlichen Ausdruck seines Schöpfers ebenso wie durch ihr kommunikatives Geschick. Auch durch die historische Einordung macht Burkhardt deutlich, dass die Postmoderne nicht länger als Sonderfall der Architektur- und Designgeschichte gelten kann.
Text: Achim Reese
Gestalten. Für eine interdisziplinäre, ethische und kulturelle Politik in Design und Architektur
François Burkhardt
Gestaltung: Delia Keller ǀ Gestaltung Berlin
328 Seiten
Martin Schmitz Verlag, Berlin 2023
ISBN 978-3927795976
20 Euro
Zum Thema:
Am Sonntag, 14. Mai 2023 um 11 Uhr stellt François Burkhardt das Buch in den Räumen des Deutschen Werkbunds in Berlin (Goethestraße 13, 10623 Berlin) vor, wo derzeit die Ausstellung Schule machen! zum Werk Helga Schmidt-Thomsens gezeigt wird. Mit François Burkhardt diskutieren Kunsthistorikerin Karin Wilhelm und Tulga Beyerle, Direktorin des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe.
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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auch noch | 11.05.2023 08:23 Uhreine frage
@2:
ich hatte befürchtet, dass sich so ein schwall ergiesst....
war eine seriöse frage!
wie bestellen Sie eigentlich Ihr brot beim bäcker? den satz bitte mal niederschreiben.....