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16.01.2025

Filmtipp: The Brutalist

Täuschend fiktive Architekturhistorie


Wie oft kommt es vor, dass sich der Hauptdarsteller ausgerechnet mit der Produktionsdesignerin darum kabbelt, wer die Hauptfigur stärker geprägt hat? So geschehen auf einem Podiumsgespräch zu The Brutalist von Regisseur Brady Corbet. Das Filmdrama um einen nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA emigrierten jüdischen Architekten hat kürzlich bei den Golden Globes abgeräumt. Ab 30. Januar läuft er in den deutschen Kinos.

Anschauen sollte man dieses dreieinhalbstündige Epos über einen fiktiven Architekten schon deshalb, weil er komplett in der analogen Breitwand-Technik VistaVision gedreht wurde – als erster Film seit den 1960er Jahren. Cineastische Ästhetik ist garantiert. Dabei ist sie kein bloßer Fetisch, sondern trägt den Inhalt. Corbet und seine Co-Drehbuchautorin Mona Fastvold interessierte die „Psychologie der Nachkriegszeit“, die die Architektur entscheidend beeinflusst habe. Insbesondere den Brutalismus verstehen sie vice versa als ein Abbild der Verfasstheit der damaligen Gesellschaft.

Bauhaus, Breuer oder was ist hier Fiktion?


Die Handlung spielt in der zweiten Lebenshälfte des jüdisch-ungarischen Architekten László Tóth (gespielt von Adrien Brody), offenbart aber nach und nach auch dessen frühere Vita. Tóth hat am Bauhaus studiert, in Budapest mehrere Bauten der klassischen Moderne realisiert und ein Konzentrationslager überlebt. Fast vergessen wir angesichts der vielen Details, dass es sich um eine fiktive Figur handelt. Corbet hat bei seinen Recherchen den inzwischen verstorbenen Architekturhistoriker Jean-Louis Cohen konsultiert. Wir sehen kein Biopic, doch tauchen durchaus Assoziationen auf: Spätestens als der Protagonist uns verdächtig bekannte Stahlrohrmöbel entwirft, geistert der gebürtige Ungar Marcel Breuer durch den Saal.

Davon zu sprechen, dass der Architekt nach seiner Ankunft in Pennsylvania einen Neustart hinlegen würde – wie in mancher Trailerbeschreibung – wäre euphemistischer Hohn. Tóth haust teils in provisorischen Bedingungen, bettelt um Essen, nimmt Drogen. Brody spielt in diesen Szenen keinen selbstbewussten Architekten, sondern ein gebeutelten, fast scheuen Mann, der sich noch dazu um seine Frau sorgt, die nach wie vor in Europa festsitzt.

Dabei hatte die Architektur ihm und uns bereits einen Lichtblick beschert. Tóth kommt zwischenzeitlich an einen kleinen Auftrag. Er soll den Bibliotheksraum des reichen Geschäftsmannes Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) umgestalten. Während der Bauarbeiten bricht zum ersten Mal der Architekt in László Tóth durch die Oberfläche, plötzlich selbstsicher und zielgerichtet. Aus einer dunklen, schwermütigen Stube schafft er einen hellen, modernen Lesesaal, dessen schuppenartige Regalkonstruktion die Bücher dennoch vor Sonnenlicht schützt. Der Entwurf stammt dabei von jenem Tóth, den Schauspieler Brody zwar grandios verkörpert, der aber erst durch die Arbeit von Produktionsdesignerin Judy Becker zum Architekten wird.

Dieses kleine Werk setzt fortan den architektonischen Maßstab. Nicht nur für uns Zuschauer*innen, sondern auch für Auftraggeber Van Buren. Als dieser Tóth für den Entwurf eines gigantomanischen Bauwerks engagiert, haben wir erst den halben Film hinter uns. In der Geschichte sind derweil rund zehn Jahre vergangen – und mit der Ankunft von Tóth’s Frau Erzsébeth (Felicity Jones) Ende der 1950er Jahre beginnt das eigentliche Drama.

Psychologischer Beton

Die Verhältnisse drehen sich. Beziehungen spitzen sich zu. Zwischen den Eheleuten Erzsébeth und László, zwischen Mäzen und seinem Protegé, aber vor allem zwischen dem Architekten und dessen Entwurf. „Ich habe The Brutalist als eine Geschichte über stille Beharrlichkeit und das Streben nach Exzellenz gesehen“, so Brody. Was zunächst still beginnt, wird nun aber immer heftiger. Tóth wird zu einem Architekten, dem sein Werk am nächsten ist. Sein Entwurfsauftrag ist ein Komplex aus Bibliothek, Sporthalle, Auditorium und Kapelle im Namen Van Burens verstorbener Mutter. Der Architekt versteht es als sein persönliches Vermächtnis. Und so fließen Traumata in Beton.

Für den Entwurf habe Becker Bilder von Konzentrationslagern studiert. Beklemmung und Größenwahn jedenfalls drückt dieses Bauwerk aus – mit seinen dunklen, nur durch Schlitze belichteten Räumen, die gigantisch hoch, aber ebenso eng sind. Damit ist es mehr ein gebautes Symbol, als ein aus Lebenserfahrungen inspiriertes Gebäude mit tatsächlichem Nutzen. Ob das als authentisches Werk eines Bauhaus-Schülers gelten darf? Corbet sagt, er verstehe Brutalismus als eine Architektur, die „keine vorgefassten Erwartungen bedient“ und uns mit Raum zur Interpretation konfrontiere.

Gut, warum also Brutalismus? Abseits aller Stilkritik zeigt sich neben Migrationserfahrung und Nachkriegsgesellschaft auch ein altbekannter Architekten-Topos: der genialische Künstler (oder eben Architekt), der sich selbst nur als solcher gefällt. Der Beruf rettet László Tóth, doch er vereinnahmt ihn auch bis hin zur Selbstzerstörung. Einfach ist dieser Film trotzdem nicht. Was fangen wir beispielsweise damit an, dass der Mäzen auf mysteriöse Weise in seinem eigenen Denkmal verschwindet? Und damit, dass der hochbetagte Architekt im Epilog auf der ersten, eigentlich der Postmoderne gewidmeten Architektur-Biennale 1980 in Venedig für sein brutalistisches Lebenswerk gefeiert wird? Das damalige Ausstellungsprogramm „The Presence of the Past“ liefert dem Film jedenfalls einen veritablen fiktiven Untertitel.

Text: Maximilian Hinz

The Brutalist

Brady Corbet
USA, 2024
Filmdrama
Englisch, in Teilen yiddisch, ungarisch, hebräisch, italienisch mit engl. UT
215 Minuten (inkl. 15 Minuten Pause)

Universal Pictures


Video:



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